Montag, 30. Dezember 2019
"Der magische Adventskalender" von Jan Brandt
Magischer Realismus
Die Idee, eine Adventskalender-Geschichte mit 24 Kapiteln zu schreiben mag vielleicht nicht neu sein (ich habe nicht recherchiert, ob es ähnliche Stories gibt), Jan Brandt hat sie aber zusammen mit den Illustrator Daniel Faller auf einzigartige und sehr lesenswerte Weise umgesetzt. Die Geschichte des Halbwaisen Jonas Klaasen, der mit seiner Schwester Sonja und seinem Vater im (fiktiven) Kleinstädtchen Ravenhagen wohnt, steckt voller Wärme und Phantasie und geht in jedem Fall ans Herz.
An einem 1. Dezember findet Jonas einen Holzkasten vor seiner Haustür. Schnell stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Adventskalender handelt. Auf den einzelnen Türchen sind Symbole abgebildet, die Jonas auf eine magische Schnitzeljagd durch Ravenhagen führen, bei der er die Bewohner seiner Stadt besser kennenlernen wird - und irgendwie auch sich selbst…
Dieses Buch ist am ehesten der Strömung "Magischer Realismus" zuzuordnen, denn hier existieren die Welten des Alltäglichen und Phantastischen nebeneinander. Ich mag die Symbolkraft und das Geheimnisvolle an diesem kleinen Büchlein. Es geht in erster Linie ums Teilen und damit um Menschlichkeit, die wir alle in diesen "modernen" Zeiten umso nötiger haben.
Allzu viel möchte ich aber nicht verraten über das Buch, das sich am besten jeder - ob jung oder alt - selbst erschließen sollte. Meine Adventszeit hat es jedenfalls ein bisschen magischer gemacht!
Nähere Infos zum Buch gibt es: hier
Donnerstag, 26. Dezember 2019
"Teuflischer Walzer" von Frank Tallis
Gehaltvoller historischer Krimi aus der Zeit um 1900
Die historischen Kriminalromane rund um den in Mordfällen ermittelnden Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann sind für mich Neuland gewesen. "Ein Teuflischer Walzer" von Frank Tallis, der selbst Klinischer Psychologe ist, ist nach sieben Jahren Pause der neueste Band der Reihe. Leider findet sich im Buch keine Auflistung der bisher erschienen Fälle, was ich etwas schade finde, zumal alle Übersetzungen ebenfalls im btb-Verlag erschienen sind.
Wir befinden uns im Wien des gerade begonnenen Jahres 1904. Es ist das Wien der angeschlagenen K. u. k.-Doppelmonarchie. Die Kaiserin Elisabeth wurde wenige Jahre zuvor von einem Anarchisten ermordet, der Bevölkerung geht es schlecht, die vielschichtigen Stimmen des Sozialismus werden lauter. In der Kunst malt Gustav Klimt seine goldenen Gemälde. Sigmund Freud praktiziert in der Wiener Berggasse, wo er die menschliche Psyche erforscht. Vor diesem Hintergrund spielt sich die Krimihandlung ab: Ein entstellter Toter, der offensichtlich erschossen wurde, wird in einer ehemaligen Klavierfabrik gefunden. Kriminalinspektor Oskar Reinhardt holt sich einmal wieder Unterstützung beim Ermitteln in Person seines Freundes Max Liebermann. Dieser ist seines Zeichens Freud-Schüler und als Arzt und Psychiater mit den Abgründen der menschlichen Psyche bestens vertraut.
Der Roman beschwört eine unheilvolle Fin-de-siècle-Kulisse herauf. Düster, winterlich und beklemmend ist diese Atmosphäre, die die Handlung wunderbar umrahmt. Es geht ja auch um die dunklen Aspekte der menschlichen Psyche und persönliche Verstrickungen aller Art. Die vielfältigen Themenbereiche, die im Roman angesprochen werden, wie z.B. Spielarten der Medizin, Psychologie und Politik - natürlich im Kontext der Zeit um 1900 - sind für den Leser, sofern er sich nicht gedanklich ohnehin schon in diesen Metiers bewegt bzw. sich mit ihnen beschäftigt, erstmal sehr kompliziert, die Dialoge teilweise sehr hochtrabend. Durchbrochen wird dieser, ich nenne ihn mal intellektuelle Duktus, durch actiongeladene Szenen und eine brisante Handlung, die viel Sprengstoff bietet - im wahrsten Sinne des Wortes!
Der Roman hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich mich aufgrund der Themen stellenweise sehr konzentrieren musste. Die Figur des Max Liebermann und die Idee, einen Psychiater zum Co-Ermittler zu machen, fand ich sehr gut ausgearbeitet. Seine kluge Verlobte Amelia Lydgate frischt die Handlung, die eigentlich fast durchgehend ernst ist, sehr auf.
Alles in allem wird die Gesellschaft der Wiener Jahrhundertwende wunderbar und lebensecht portraitiert. Die Krimihandlung mit Spionageelementen fand ich sehr "international", Tallis ist Engländer und schreibt für ein breites Publikum.
Für dieses Rezensionsexemplar möchte ich mich beim Bloggerportal von Randomhouse / btb-Verlag recht herzlich bedanken!
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Mittwoch, 25. Dezember 2019
"Ein perfider Plan" von Anthony Horowitz
[Aktuell: Um die Weihnachtszeit und "zwischen den Jahren" wird es neben aktuellen auch ein paar ältere Rezensionen aus Anfang/Mitte 2019 zu lesen geben, die ich bislang noch nicht gepostet habe.]
„Ein arbeitsloser Detektiv“ oder wie Anthony Horowitz ein "reales" Verbrechen aufklärte
Dieses Buch in ein Genre zu stecken ist schwierig. Ich würde am ehesten sagen, es handelt sich um einen „semi-fiktiven pseudo-autobiografischen Kriminalroman mit satirischen Zügen“. Die Handlung ist schnell erzählt: es geht darum, dass der Ich-Erzähler, reale Autor und Protagonist Anthony Horowitz (ein renommierter britischer Schriftsteller und Drehbuchautor) von einem Ex-Kriminalpolizisten und jetzigem Polizeiberater – den er von den Serienprojekten, an denen er arbeitet, kennt – namens Daniel Hawthorne dazu überredet wird, ein Buch über ihn und die Ermittlungen in seinem aktuellen Fall zu schreiben. Soweit, so einfach. Ist es aber alles irgendwie so gar nicht, denn Hawthorne erweist sich als äußerst unangenehmer Zeitgenosse mit Hang zu Alleingängen und autoritären Auftritten, die Horowitz an seine Grenzen bringen. Die krude, unzugängliche Persönlichkeit Hawthornes trägt im Übrigen dazu bei, dass er mehrfach überlegt das Buch und Hawthorne fallen zu lassen. Das Dumme ist nur, ihn interessiert es ebenfalls brennend, wer der Mörder ist und so wird Horowitz selbst zum Co-Ermittler in diesem Fall, über den er ja eigentlich nur schreiben sollte.
Der Fall an sich ist mehr als skurril und der berüchtigte schwarze britische Humor, mit dem alles irgendwie unterlegt scheint, führt dazu, dass einem beim Lesen oftmals das Lachen in der Kehle erfriert. Es geht um Diana Cowper, die Mutter des aufstrebenden britischen Hollywoodstars Daniel Cowper, die an dem Tag, an dem sie ihre eigene Beisetzung in einem Londoner Beerdigungsinstitut plant, ermordet wird. Schnell kommt ein Vorfall aus ihrer Vergangenheit ans Licht, der für ein Motiv herhalten könnte...
Das Buch ist sehr Dialoglastig und manche Szenen scheinen wirklich wie aus dem Drehbuch zu einer Krimikomödie entsprungen. Die Reibungen zwischen dem ungleichen Ermittlerpaar Hawthorne/Horowitz entbehren nicht einer gewissen Komik. Besonders köstlich und von humoristischer Brillanz ist beispielsweise die, als sich Horowitz zu einer Projektbesprechung mit zwei berühmten Regisseuren (ich verrate jetzt hier mal nicht, um wen es sich handelt) trifft.
Zu Lektorat und Übersetzung ist zu sagen, dass beides, wie nicht anders zu erwarten vom Insel-Verlag, hervorragend ist. Einen kleinen Wortfehler/Dopplung in einem Satz habe ich allerdings gefunden (S. 307).
Auch sehr schön finde ich, dass dieses Hardcover ohne Schutzumschlag auskommt und die Titelei geprägt ist. Beides war ebenfalls bei den Sherlock-Holmes-Büchern von Horowitz der Fall, weshalb latente Verwechslungsgefahr besteht. Allerdings hebt sich das Rot deutlich vom Schwarz der Holmes-Bände ab und auch die auf dem Titel abgebildete, typische englische Telefonzelle machen dem Leser unmissverständlich klar, dass das Buch nicht im London des 19. Jahrhunderts spielt. Die Zeit der Handlung ist 2011.
Mein Fazit: ein sehr lesenswerter Kriminalroman, mit einer ungewöhnlichen und kaum vorhersehbaren Handlung, der für meinen Geschmack allerdings etwas mehr „cosy“ und weniger „bloody“-morbide-skurril hätte ausfallen können.
Herzlichen Dank an den Insel Verlag und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!
Mittwoch, 18. Dezember 2019
"Puschkins Erben" von Svetlana Lavochkina
Machwerk oder Meisterwerk? Wahrscheinlich beides.
Manchmal, sehr selten, geht es mir nach der Lektüre eines Buches so, dass ich absolut nicht weiß, wie ich es bewerten soll. War es genial oder grottig, ein Meisterwerk oder ein Machwerk? Oder vielleicht einfach nur Mittelmaß?
Mit dem Roman "Puschkins Erben" (im Original "Zap") von Svetlana Lavochkina erging es mir genau so. Viele Aspekte an diesem Buch haben mich begeistert. Allein die Idee einer Familiensaga einer verrückten russischen Sippe, die vom russischen Nationaldichter Puschkin abstammen soll - toll! Der Roman ist intelligent, originell und manchmal sogar witzig. Auf der Sollseite haben wir eine sprachliche Derbheit, die viel zu oft ins Fäkale und Pornöse abdriftet sowie skurrile Handlungselemente, die sich ziehen und die ich nicht mehr nachvollziehen kann.
Alles an diesem Roman, der im Hauptteil die Geschichte einer Familie in der Sowjetunion in den Jahren 1976-1980 erzählt, ist exzentrisch. Da wäre - neben dem bizarren Personal - zum Beispiel die Sprache, die die Autorin verwendet, um ihre Geschichte zu vermitteln. Hier wimmelt es von rhetorischen Figuren wie Metaphern, Neologismen, Onomatopoesie, Synästhesie, und so weiter. Hier ist von "Katzenkurzweil" (S. 193) und vom "Milchbein" die Rede (S. 198), von "enterbenden Blick[en]" (S. 105) und vom "toxischen Elfenkönig" (S. 108) Nabokov. (An dieser Stelle ein großes Lob an die Übersetzerin Diana Feuerbach!) Der Roman scheint vor Intertextualität und Referenzialiät überzuquellen. Metatextualität, dein Name ist "Zap".
Wie passend dass eine der Protagonisten, Alka Katz, eine literaturwissenschaftliche Dissertation schreibt! Auch die ständigen Verweise auf andere Werke und Autoren - vor allem der russischen aber auch der internationalen Literatur (Alka promoviert über Ernest Hemingway, Shakespeare wird rezitiert) tragen zu diesem Eindruck bei.
In der Rahmenhandlung geht es um Russlands Nationaldichter, der für den deutschen Titel Namensgeber war. Wir lernen ihn auf wenigen Seiten im Prolog im Zaporoschje des Jahres 1820 kennen, wo er ein Kind zeugt und einen Ring verliert. Bereits hier im “historischen” Kapitel, ist die Sprache deftig-derb, allerdings nichts dagegen, was im Hauptteil des Buches noch folgen wird. Obwohl Puschkin Zap den "Blinddarm der Welt" (S. 38) nannte, hat seine Anwesenheit in der ukrainischen Provinz Auswirkungen auf die Zap’sche Gegenwart der 1970er Jahre: die jüdische Familie Knoblauch-Winter-Katz beruft sich auf die Herkunft vom großen Dichter. Josik Winter, Lehrer der Russischen Literatur und Möchtegern-Poet, hat ein Dokument gefunden, das dies beweisen soll. Er ist übrigens für mich die einzige erwachsene Figur des Romans, die man annähernd sympathisch nennen kann. Und das, obwohl auch er so seine Macken hat. Josiks didaktische Herangehensweise, um Schülern die russische Literatur zu vermitteln: er lässt sie sie erleben, indem er sie z.B. auf Schienen starren (Anna Karenina) oder eben Puschkins Verlust des Ringes am Dnjepr per Schatzsuche nachspielen lässt.
Was hat mich also gestört an diesem intellektuellen und burlesken Roman?
Zum einen, dass er in weiten Teilen den Vergleich mit einem expliziten Erotikfilm nicht scheuen muss. Hier werden primäre Geschlechtsteile bis ins Detail diskutiert, denn eine der abstoßendsten und schmierigsten Figuren, deren zweifelhafte Bekanntschaft ich in einem
Buch abseits des Horror- oder Psychothriller-Genres machen durfte, ist Esaw-Yantz, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Szenen mit ihm, was leider nicht wenige sind, waren für mich teilweise so schwer zu ertragen, dass ich oft nicht weiterlesen wollte. Ja, ich verstehe schon dass das alles satirisch überhöht und grotesk sein soll, aber hätte es diese Figur wirklich gebraucht? Überhaupt diesen ganzen pornösen Überbau, der sich wie ein schmieriges Netz um die Handlung legt? Sorry, aber das mochte ich nicht. Josik wird es übrigens zum Verhängnis, dass er den körperlich-sexuellen Seiten des Lebens nicht so zugeneigt ist. Das spricht in meinen Augen Bände.
Auch in anderen Belangen nimmt das Groteske für meinen Geschmack viel zu sehr überhand. Ich will hier gar nicht ins Detail gehen, das würde zu weit führen. Aber die Sache mit Wosik und der Zigeunerin - ich weiß nicht. Die Handlung driftet graduell zunehmend ins Absurde, aber ohne “gut absurd” zu sein.
Übrigens hätte ich mir alles in allem mehr Puschkin-Rezeption erwartet. Sie beschränkt sich sehr auf die Figur des Josik. Mit dem Verlauf der Handlung wäre der Titel "Hemingways Erben" fast passender gewesen.
Wie gesagt, vielleicht bin ich diesem genialen Buch, das ja schon einige Rezensenten begeistern konnte, intellektuell nicht gewachsen gewachsen. Hier fürchte ich, muss oder darf sich jeder selbst ein Urteil bilden.
Herzlichen Dank an den Verlag Voland & Quist für das Rezensionsexemplar (die Gestaltung dieses Hardcovers ist wirklich sehr schön und besonders hervorzuheben) und die Leserunde bei Lovelybooks.
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Samstag, 14. Dezember 2019
"Die Weihnachtsgeschwister" von Alexa Hennig von Lange
"Die Hölle, das sind die anderen", heißt es in Jean-Paul Sartres Theaterstück "Geschlossene Gesellschaft". In "Die Weihnachtsgeschwister" von Alexa Hennig von Lange sind es ebenfalls immer die anderen, die die gemeinsame Weihnachtsfeier bei den Eltern einem Inferno gleichkommen lassen.
Die drei Geschwister Tamara, Elisabeth und Ingmar treffen am Tag vor Heiligabend zusammen mit ihren jeweiligen Kindern und Partnern im gemeinsamen Elternhaus ein. Statt einen gemütlichen Abend im trauten Beisammensein mit Ausblick auf das morgige Weihnachtsfest zu verbringen, eskaliert die Situation in einem Feuerwerk gegenseitiger Vorwürfe und Beleidigungen. Die Partner der Geschwister, Quirin, Siri und "der Neue" von Elisabeth, Holger, ergreifen mit den Kindern erstmal die Flucht ins Hotel. Ist das Projekt eines gemeinsamen Heiligabends in diesem Jahr gescheitert?
Hennig von Lange seziert ihre Hauptfiguren mit spitzen Fingern und legt deren Befindlichkeiten, Dämonen und seelischen Verletzungen frei. Die Intellektuelle Tamara, die in meinen Augen an einer narzisstischen Störung leidet, ist frustriert über ihr hohles Hausfrauendasein an der Seite eines männlichen Versorgers, der bei ihr schon lange kein Verlangen nach gegenseitiger körperlicher Zuwendung mehr weckt. Sie ist außerdem neidisch auf den beruflichen Erfolg ihrer alleinerziehenden Schwester Elisabeth, die zu allem Überfluss mit einem neuen Mann auftaucht, der perfekt in Tamaras Beuteschema passt. Von ihrem jüngeren Bruder Ingmar ist sie einfach nur angenervt, weil er mit seiner Weltverbessererattitüde scheinbar einen Nerv bei ihr trifft. Ingmar seinerseits steht kurz vorm Burnout und ist irritiert über Tamaras Aggressivität und ihre mangelndes Problembewusstsein zu den Themen Klimawandel, Umweltverschmutzung und Globalisierung. Die essgestörte Elisabeth hingegen trauert der gemeinsamen Kindheit und harmonischen Beziehung zu Ingmar nach.
Und am Ende gibt es dann doch wieder diese geschwisterliche Verbundenheit jenseits aller Animositäten. Ein Weihnachtswunder?
Den in Deutschland statistisch nur alle 10 Jahre vorkommenden Schnee an Heiligabend nutzt die Autorin, um den Kontrast zwischen der idyllisch-unschuldigen Umgebung und der dysfunktionalen Familiensituation zu illustrieren. Auch sonst arbeitet die Autorin viel mit Sprachbildern, die eine bestimmte Atmosphäre erzeugen.
Die pointierte und griffige Erzählweise von Alexa Hennig von Lange hat mir persönlich sehr gut gefallen. Hier wird nicht lange um den heißen Brei herum geredet (ganz symbolisch wird selbiger Brei von Elisabeth als "Extrawurst" für eins der Kinder vor der ersten Eskalation frisch zubereitet). Auch die relative Kürze des Romans tut der Geschichte gut - für mich hätte das Buch nicht länger sein müssen.
"Die Weihnachtsgeschwister" ist ein intelligenter Kurzroman darüber, wie sehr wir alle von unserer Herkunftsfamilie geprägt werden. Lesenswert!
Für dieses Rezensionsexemplar bedanke ich mich recht gerzlich beim Dumont Verlag sowie natürlich bei vorablesen.de!
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Mittwoch, 11. Dezember 2019
"Ein Winter in Paris" von Jean-Philippe Blondel
Die Überlebenden und der Tote
Zart, fast zärtlich und doch mit einer unterschwelligen Kraft, die einem Erdbeben gleichkommt, ist die Wirkung dieses kurzen Romans auf den Leser. Er erzählt die Geschichte eines Überlebenden, der durch den Tod eines anderen ein neuer Mensch wurde.
Der erwachsene Ich-Erzähler Victor, mittlerweile Lehrer, Vater und erfolgreicher Schriftsteller, bekommt in der Rahmenhandlung einen Brief aus der Vergangenheit. In der Folge beginnt die Haupthandlung, in der Victor seine Geschichte erzählt.
Obwohl das Buch "Ein Winter in Paris" heißt, ereignet sich das einschneidende Erlebnis in Victors Leben bereits im Oktober des Jahres 1984. Der junge Mathieu Lestaing stürzt sich aus dem Fenster des Elitegymnasiums in Paris, das auch Victor besucht, in den Tod. Victor, der sich seit kurzem mit Mathieu angefreundet hat, wird Zeuge dieses Suizids, der sein Leben für immer verändern wird.
Der Suizid des “Vielleicht-Freundes” wird zum Katalysator für Victors Lebensmut, das ungestüme Aufbäumen eines "Jetzt-erst-recht". Die Pläne von Schriftstellerei und Globetrottertum manifestieren sich im jugendlichen Gehirn des Ich-Erzählers. Er denkt über die Verortung des eigenen Ichs in diesem Universum nach. Gleichzeitig plagen ihn die Zweifel, der Gegenwind des konservativen Lehrkörpers, seine Entfremdung von der heimatlichen Provinz, das schwierige, wenig innige Verhältnis zu seiner Familie, die ihm intellektuell nicht mehr gewachsen scheint.
Für Victor tun sich in der Konsequenz des Selbstmordes von Mathieu allerdings auch neue Allianzen auf. Er, der vorher ein ganzes Jahr als Einzelgänger in Paris und an seiner Schule unterwegs war, wird plötzlich von Mitschülern wahrgenommen, die ihn bislang ignoriert hatten. Eine für ihn scheinbar erfreuliche, auf den zweiten Blick aber doch erschreckende Dynamik. Ihn umgibt nunmehr die Aura des Anziehenden und Mysteriösen durch die Verbindung mit dem Toten. Zwei Schüler des Lycées interessieren sich zeitweise etwas mehr für den Menschen hinter der Fassade des "Freundes des Toten": Armelle und Paul.
Die zentrale Beziehung, die sich schließlich neu für Victor entwickelt, ist aber die zu Mathieus verzweifeltem Vater Patrick. Der Mittvierzieger und der Schüler an der Schwelle zum Erwachsensein freunden sich an und philosophieren über die Hintergründe von Mathieus Freitod und dann zunehmend auch über Gott und die Welt.
Die Erzählweise dieses Kurzromans ist unaufgeregt, fast nüchtern. Gleichzeitig ist sie ungemein atmosphärisch und innig. Das herbstliche und schließlich winterliche Paris sowie die Geschehnisse rund um den Suizid werden durch Victors Sicht perspektivisch gebrochen. Durch eine gleichsam poetische Brille wird diese besondere Zeit in Victors Leben durch den Ich-Erzähler reflektiert, wodurch seine Gedankenwelt für den Leser unmittelbar zugänglich wird.
Das Besondere an diesem Buch ist, dass es einen Suizid einzig aus der Perspektive der Hinterbliebenen beleuchtet. Mathieu selbst lernt der Leser nur in der Spiegelung seiner Umwelt kennen - ein Zerrbild. Nicht der Selbstmörder steht also im Vordergrund, sondern die, die mit ihm - mehr oder auch weniger - zu tun hatten.
Ein hervorragendes, ein wichtiges Buch, das das Leben, das Überleben feiert, trotz allem. Ein Satz hallt besonders in mir nach: "Ich verspürte eine unbändige Lust zu leben." (S. 154)
Da ich selbst kürzlich meine älteste Freundin durch einen Suizid verloren habe, war mir die Lektüre dieses Buches eine Herzensangelegenheit. Es hat mir in dieser schweren Zeit sehr geholfen. Meiner Freundin widme ich diese Rezension.
Herzlichen Dank an das Bloggerportal von Randomhouse für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars aus dem Goldmann-Verlag.
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Dienstag, 10. Dezember 2019
"Von Oma mit Liebe. Die 96 besten Kuchentratsch-Rezepte" von Katharina Mayer
Universelles Traditionsbackbuch
Manches Wissen vererbt sich von Generation zu Generation. Diese Erkenntnis hat sich das Münchner Unternehmen "Kuchentratsch", gegründet von Katharina Mayer, zu Herzen genommen. Mayer gibt SeniorInnen einen Job in ihrer High-End-Bäckerei und erschafft damit eine klassische Win-win-Situation: Die älteren Menschen haben eine neue, sie erfüllende Aufgabe und "Kuchentratsch" kann Kuchen "von Oma" anbieten und damit wiederum seine Kunden glücklich machen.
Was liegt nun näher als das gesammelte Backwissen der älteren Generation, also in diesem Fall der bei "Kuchentratsch" beschäftigten "Back-Omas" (es gibt auch einen "Back-Opa" sowie 2 “Liefer-Opas” und eine Oma), zu bündeln und in Buchform herauszubringen. In diesem Fall hat der marktführende Verlag im Ratgeber- und Food-Bereich, GU, mit "Kuchentratsch" kooperiert und herausgekommen ist dabei das Buch "Von Oma mit Liebe. Die 96 besten Kuchentratsch-Rezepte".
Die Aufmachung in Vintage-Leinenoptik ist ebenso bestechend wie die Food-Bilder in klassisch hochwertiger GU-Qualität. Das besondere visuelle Extra bei diesem Buch sind allerdings die People-Fotografien, mittels derer die Omas und Opas liebevoll portraitiert wurden. Zudem gibt es kleine gezeichnete Portraits der BäckerInnen, die sowohl das Vorsatzpapier als auch die dem Rezept zugefügten "Tipps" illustrieren. Ein Vorwort der Gründerin, “Fun-Facts” über das Unternehmen sowie Interviews mit ein paar der SeniorInnen, runden den Teil des Buches ab, in dem es nicht um das Gebäck an sich geht.
Der sehr umfangreiche Rezeptteil gliedert sich in 4 Unterkapitel (“Kleine Leckerbissen”, “Lieblingskuchen für jeden Tag”, “Torten für jeden Anlass”, “Trendig & aus aller Welt”). Pro Kapitel gibt es jeweils einmal ein Rezept, dem eine bebilderte “Schritt-für-Schritt”-Anleitung auf 2 Seiten angefügt ist.
Im Bereich des Kleingebäcks, der uns zuerst ins Auge fällt, befinden sich die ersten Klassiker, die fast jeder von der eigenen Oma kennen dürfte. Manche Rezepte wurden durch exotische Zutaten wie Cranberries, Chai-Tee oder Macadamianüsse modernisiert, andere kommen in ihrer klassischen Gestalt daher (Baumkuchenspitzen, Quarkbällchen, Kirchweihnudeln, Spritzgebäck). Während man für Rezepte wie Zitronen-Muffins nur wenig Backkenntnisse braucht, sind z.B. “Brandteigkringel mit Vanillefüllung” eher etwas für fortgeschrittene “TeigverarbeiterInnen”.
Beim Kapitel “Lieblingskuchen für jeden Tag” hätte ich vielleicht den Zusatz weggelassen, denn manche der Kuchen firmieren bei mir eher unter dem Begriff “Sonntagskuchen”, weil sie in der Machart schon eher aufwändig sind. Darunter würde ich z.B. einen Florentiner Kirschkuchen, einen Zimtschneckenkuchen oder Rohrnudeln mit Zwetschgenfüllung zählen, die sich im gehetzten Alltag wohl nur schwer umsetzen lassen. Einen Marmor-, Rotwein- oder Zitronenkuchen kann man dagegen wohl schon eher mal zwischendurch kreieren.
Dass die Torten im dritten Kapitel schon mehr Fingerspitzengefühl erfordern, dürfte auch klar sein, immerhin sind sie für besondere Anlässe gedacht. Hier wurde in den Rezepten auch mal an die unter Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit leidenden Tortenliebhaber gedacht mit Rezepten wie Glutenfreie Eierlikörtorte oder Buchweizen-Preiselbeertorte. Aber natürlich dürfen auch hier “Oma-Klassiker” wie die Schwarzwälder Kirschtorte nicht fehlen.
Auch im letzten Kapitel wird mit den “trendigen” und internationalen Rezepten nochmal speziellen Bedürfnissen wie vegan oder glutenfrei Tribut gezollt. Auch Kinderaugen dürften beim Anblick einer Piñata-Smarties-Torte, Regenbogentorte oder eines Zahlenkuchens auf dem Geburtstagstisch, leuchten.
Auch wenn ich kein Backkünstler bin, werde ich mich demnächst wohl an das ein oder andere Rezept heranwagen. Vor allem der Irische Apple Pie von Oma Kate hat es mir angetan.
Wenn man sich aus Gründen z.B. der Platzknappheit nur noch ein Backbuch anschaffen wollen würde, dann würde ich dieses hier guten Gewissens empfehlen.
Herzlichen Dank an vorablesen.de und den GU-Verlag für dieses Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: Link
Website von Kuchentratsch: Link
"Flirting with Fire" von Piper Rayne
(Foto: Forever Ullstein)
Flirting with Klischees und Langeweile
Gewünschtes Ziel: Romantischer Roman für junge Erwachsene mit einem Schuss Erotik.
Man nehme folgende Zutaten: Eine Vergangenheitserinnerung, die sich zur Verklärung eignet. Also in dem Fall die erste richtige Begegnung des schüchternen Mauerblümchens Maddie mit dem gut aussehenden Highschoolschwarm Mauro.
10 Jahre später: Madison wird von ihrer Freundin überredet, an einer Junggesellenversteigerung teilzunehmen und ersteigert wird: Mauro! Doch der erinnert sich - im Gegensatz zu Madison - leider nicht an sie.
Ach ja, er ist mittlerweile ein Feuerwehrmann und macht nebenbei in Immobilien, genau wie Madison hauptberuflich...
Ein Ereignis aus der jüngeren Vergangenheit belastet Mauro sehr, weshalb er sich nicht öffnen kann.
Maddie ist nach wie vor unsicher, gleichzeitig angezogen und abgestoßen und Mauro einfach unverschämt und unverschämt handsome zugleich ("Spoiler": Er sieht aus wie ein Hollywoodstar).
Dieses Buch ist vom Aufbau her jetzt nicht wirklich spannend oder besonders. Unnötig aufgeblasener, langweiliger und teils absurder Plot. Die Charaktere sind relativ flach, die Story absolut vorhersehbar. Ein bisschen "Drama", Liebes-Hin und Her, Missverständnisse - Soaphandlung! Das Buch wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Madison und Mauro erzählt. Es geht in beider Köpfen viel um Attraktivität und Oberflächlichkeiten. Sie riecht nach Erdbeeren und er nach Zedernholz. Sehr ausgefallen und differenziert - not! Und Mauro sieht ja so perfekt aus, sie ist seiner nicht würdig, etc. Wenn Frauen ihr Aussehen in Bezug auf ihre Chancen bei Männern nach "Dating-Kategorien" bewerten, dann schalte ich gedanklich schon mal ab. Das ist mir echt zu "amerikanisch". Übrigens geht mir auch bei Männern, die das Aussehen von Geschlechtsgenossen nach dem Männlichkeits-Faktor desselben beurteilen, die Hutschnur hoch.
Schwarzweiß-Denken in Kategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit ist in diesem Buch stark verankert.
Sie ordert beim ersten Date natürlich eine Gemüseplatte - seiner Ansicht nach "Vogelfutter" - und Weißwein und er fettiges Essen und Bier, das sie natürlich insgeheim auch gern hätte, aber sie ist ja eine Frau und achtet auf ihre Linie. Ach du Schreck, das Klischee geht nicht weg!
Die Erotikszenen sind dann auch mehr als plump und voller Klischees.
Dass es eine Trilogie ("Saving Chicago") werden soll, ahnt man schon, denn Mauros Brüder Cristian (Klischeeberuf: Polizist) und Luca (Klischeeberuf: Rettungssanitäter) scheinen auch sehr gutes "Hottie-Protagonistenmaterial" abzugeben. Zumal Madison auch noch zwei passende Freundinnen hat, Lauren und Vanessa.
Es stimmt schon, ich gehöre nicht (mehr) zur Zielgruppe dieses Romans und es ist auch nicht mein Genre. Da ich das Buch aber geschenkt bekommen habe, wollte ich ihm eine Chance geben. Man sollte ja immer mal wieder über den Tellerrand hinausschauen, auch bei Büchern (fast hätte ich "Literatur" geschrieben). Für dieses Buch hat es bei mir leider nicht funktioniert. Dennoch 2 Sterne, einer für das Cover und einer, weil im Buch ein süßer Hundewelpe vorkommt.
Dankeschön an netgalley und Forver Ullstein für das Rezensionsexemplar!
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Sonntag, 8. Dezember 2019
"Die verzauberte Stunde. Warum Vorlesen glücklich macht" von Meghan Cox Gurdon
Von der Erhabenheit des Vorlesens
Die Amerikanerin Meghan Cox Gurdon, Kinderbuchkritikerin und selbst Mutter von fünf Kindern, schreibt über den Mehrwert des Vorlesens im "Zeitalter der Zerstreuung" (S. 16). Wenn vor allem Bildschirme und unser konstanter Umgang damit unser menschliches Zusammenleben und unsere kognitive Wahrnehmung bestimmen, ist das von Mensch zu Mensch gesprochene Wort umso wertvoller geworden. In einer Zeit, in der wir durch den Einfluss der Smartphones und des Internets eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne haben, sind Bücher wieder der Königsweg zu einer umfassenden Bildung von klein an.
Auf Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Neurologie und Hirnforschung einerseits und andererseits aus Sicht der Mutter von fünf Kindern will dieses Buch uns die enorme Wichtigkeit des Vorlesens (nicht nur, aber vor allem des Vorlesens für Kinder) nahebringen. Natürlich ist das in gewisser Weise ein schwieriges Unterfangen, da gerade die bildungsfernen Familien bzw. die "wortarmen Haushalte" (S. 140), die diese Erkenntnis verinnerlichen sollten, wohl eher nicht zu einem Buch über das Vorlesen greifen werden. Andererseits werden die Familien, die ohnehin schon regelmäßig vorlesen, nach der Lektüre vielleicht noch öfter und passionierter das Vorlesebuch in die Hand nehmen.
Nicht nur der Status Quo des Vorlesens und seiner Bedeutung, auch die Geschichte der oralen Vermittlung von Sprache wird im Buch ausführlich beleuchtet. Die Tradition des Geschichtenerzählens sei so alt wie die Menschheit, so Gurdon. Erst später kam die Verschriftlichung von Geschichten auf und schließlich das gedruckte Wort.
Die Autorin zitiert sehr viel, sowohl aus der Primär- als auch aus der Sekundärliteratur, weshalb dem Buch auch ein umfangreiches Quellenverzeichnis zugefügt ist. Das Buch hat demnach einen dezidiert wissenschaftlichen Anspruch. An manchen Stellen wird es auch literaturwissenschaftlich, z.B. wenn die Autorin in die Analyse von Texten aus der Kinderliteratur geht. Andererseits geht es um empirische Beobachtungen, die sie oder andere gemacht haben, wenn Kinder vorgelesene Bücher rezipiert und darauf reagiert haben.
Immer wieder illustriert Cox Gurdon an Beispielen, wie wichtig ein großer Wortschatz für Kinder, ja bereits für Babys, ist, damit sie sich die Welt erschließen können. Die Eltern sind in der Verantwortung. Sie müssen für ihre Kinder den Grundstein des Wortschatzaufbaus legen und eine geeignete "Sprachumgebung" (S. 138) schaffen. Dafür gibt uns die Autorin auch konkrete Tipps an die Hand, wie z.B. "dialogische Techniken" (S. 148). Diese bilden auch abseits des Vorlesens eine wunderbare Möglichkeit, den Sprachschatz unserer Kinder anzureichern.
Auch dass es wichtig ist die Kinder ab einem gewissen Alter mit Märchen und Klassikern aus der "großen kulturellen Schatztruhe" (S. 200) der Menschheit zu konfrontieren, betont die Autorin.
Cox Gudron lehrt uns schließlich, wie man die titelgebende "verzauberte Stunde" durchführen, ja zelebrieren kann. So können wir uns wenigstens einmal am Tag eine Auszeit nehmen in diesem Zeitalter der Zerstreuungen. Und das tut nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selbst gut.
Kritisch anmerken muss ich aber dennoch, dass die Autorin sich oft sehr in (manchmal redundante) Detailanalysen und Zitate flüchtet. Darüberhinaus ist dieses populärwissenschaftliche Sachbuch sehr eklektizistisch. Die Autorin pickt sich mal hier mal da etwas heraus, um ihre Grundthese von der Bedeutung des Vorlesens, die tatsächlich unbestritten ist, zu illustrieren. Sie springt sehr viel in ihrer Argumentationskette. Mir fehlte manchmal etwas der rote Faden, an dem ich mich beim Lesen festhalten konnte. Der sprachliche Duktus, den Cox Gurdon verwendet, ist mir für ein Sachbuch auch teilweise zu pathetisch und die Argumentationslinie nicht objektiv genug. Man spürt zuweilen einen bildungsbürgerlichen Impetus im Subtext und fühlt sich dadurch beim Lesen auch etwas unzulänglich, wenn man es als Elternteil bislang versäumt hat seinem Kind "Die Chroniken von Narnia" vorzulesen oder es kein Interesse an kunstgeschichtlichen Fühlbüchern zeigt.
Cox Gurdon hat dennoch ein sehr wertvolles Buch geschrieben, das uns die Wichtigkeit des (Vor-)Lesens vor Augen hält. Eltern lernen daraus, wie kindliche Gehirne ticken, indem sie neue Worte wie Schwämme aufsaugen. Allen werdenden Eltern oder Eltern kleiner Kinder sei dieses Buch deshalb wärmstens empfohlen. Es ist in seiner Aussage besser als so mancher Erziehungsratgeber.
Ich möchte mich recht herzlich beim Suhrkamp/Insel-Verlag für dieses Buch bedanken, das mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde.
Nähere Infos zum Buch findet man hier: Link zur Buchseite beim Insel-Verlag
Donnerstag, 5. Dezember 2019
"Der achtsame Mr. Caine und die Tote im Tank" von Laurence Anholt
Der "Veggie-Cop" ermittelt im Kunstmilieu
Um im Krimigenre hervorstechen, muss man sich heutzutage schon etwas Besonderes ausdenken, um nicht in der Masse unterzugehen. Laurence Anholt, seines Zeichens Kinderbuch-Autor und Illustrator, hat sich nun an diese Aufgabe herangewagt und ich würde sagen: mit Erfolg.
Sein Ermittler Detective Vincent Caine ist so ganz anders als alle anderen, die diesen Job in der Kriminalliteratur je gemacht haben (zumindest soweit es mir bekannt ist). Caine ist praktizierender Buddhist, er wohnt wie ein Eremit in einer einsamen Hütte in der Natur, seine Credos heißen Achtsamkeit, Karma, Meditation, Serendipität und Symbiose, statt eines Handys verlässt er sich auf seinen "Boten" und er isst bevorzugt selbst angebautes Gemüse aus dem Garten. Darüberhinaus ist er noch überaus belesen und clever. Gutes Aussehen (lange Haare und durchtrainierter Körper) gehört ebenfalls zu seinen Vorzügen.
Seine Kollegin, DI Shanti Joyce, ist das vermeintliche Gegenteil vom in sich ruhenden Caine. Nachdem sie von London nach Südwestengland "strafversetzt" wurde, muss sie sich nun an Caines alter Position erneut beweisen. Neu in Somerset, frisch geschieden und alleinerziehend, hat sie keine Zeit, sich auch noch um gesunde Ernährung, ein aufgeräumtes Büro und inneren Frieden zu kümmern.
Der Fall ist dann ähnlich skurril wie der Ermittler Caine, der eigentlich krank geschrieben ist, weil er eine Zeit der inneren Reinigung durchmacht. Die kurz vor ihrem großen Comeback stehende Performance-Künstlerin Kristal Havruen wurde in ihrer eigenen Installation - einem mit Formaldehyd gefüllten Glastank - ermordet aufgefunden.
Anholt hat eine herrlich skurrile Ansammlung von Figuren erschaffen, die alle irgendwie verdächtig sind. Vom dürren Kurator mit einer Vorliebe für karierte Anzüge, der kettenrauchenden alten Kunstlehrerin, über den ewig in das Opfer verliebten "tumben Tor", der gerne Tauben füttert bis hin zum lebenden Kunstwerk ("A boy named Art"), dessen hervorstechendste Eigenschaft zum Leidwesen seiner Künstler-Mutter die Gewöhnlichkeit ist, ist an markanten Charakteren alles dabei.
Besonders gefallen hat mir - neben dem ungewöhnlichen Ermittlerduo, den skurrilen Charakteren und der Story an sich - die Struktur dieses Krimis. Die Kapitelüberschriften sind zum Großteil allegorisch ("Die tödliche Sirene", "Das Haus der Knochen", etc.). Sie geben den Inhalt des jeweiligen Kapitels auf metaphorische Art und Weise wieder.
Bei dem sehr linearen Aufbau und den malerischen Schauplätzen in Südwestengland sowie den eingängigen Charakteren, hatte der Autor sicher schon eine Verfilmung im Hinterkopf, was für mich auch stimmig wäre.
Dieser Whodunit-Krimi ist außerdem voll von Zwischentönen und zwischen den Zeilen gestellten, indirekten Fragen: Wo verläuft die Grenze zwischen Kunst und Personenkult? Kann ein Mensch ein Kunstwerk sein? Wie "human" darf ein Polizist - der Arm des Gesetzes - sein?
Objektiv gesehen hat der Fall an sich eine sehr bizarre, wenn man so will "unrealistische" Komponente, die nicht bei allen Lesern auf Gefallen stoßen dürfte. Ich persönlich konnte damit sehr gut umgehen, wollte es aber dennoch erwähnen, dass der Krimi doch etwas speziell und abseits des Mainstream ist.
Ich jedenfalls freue mich sehr auf den nächsten Fall des "Veggie-Cops" und seiner Kollegin Shantala, der im Sommer 2020 erscheinen wird. Bislang sind 3 Bände geplant. Das Buch kann ich allen empfehlen, die “Cosy crime”, schräge Krimis und ungewöhnliche Ermittler mögen.
Für das Rezensionsexemplar möchte ich mich recht herzlich beim Droemer Knaur Verlag bedanken!
Nähere Informationen zum Buch gibt es hier: Link
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Montag, 2. Dezember 2019
"Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse" von Frida Skybäck
Ja, dieses Buch ist absolut vorhersehbar und voller Frauenroman-Klischees. Wir haben eine skandinavisch nüchterne Protagonistin mit einer Phobie vor Keimen, Thirtysomething, attraktiv. Sie, Charlotte, ist eine erfolgreiche Selfmade-Geschäftsfrau, aber ihr Herz ist verschlossen, seit die Liebe ihres Lebens, Alex, verstorben ist.
Dann bekommt sie von einer Tante, über die sie bisher nichts wusste, eine Buchhandlung in Londoner Bestlage vererbt. Diese Buchhandlung hat auch zwei Wohnungen, von denen sie die eine bewohnen könnte - wenn sie das in Erwägung zöge - und die andere wird von einem sehr gut aussehenden, alleinstehenden und scheinbar mürrischen Schriftsteller mit Schreibblockade bewohnt (wäre Hugh Grant nicht schon zu alt, würde er natürlich die Rolle in der Verfilmung spielen). Es gibt auch noch eine Buchhandlungs-Katze mit Schriftstellernamen (Tennyson), die warmherzige langjährige Angestellte Martinique, die nicht “Nein” sagen kann und die vorlaut-schlagfertige junge Teilzeitangestellte Sam. Dem Setting Leben einhauchende Randfiguren (Kunden) wie der alte, aber adrett gekleidete Herbert, "Opfer" einer ihn mit Essen "stalkenden" Altersgenossin, das Mädchen Calliope oder die ewig krächzende Parnella, lassen dieses Buch vollends zu einem literarischen Wohlfühl-Accessoire werden.
Obwohl Bücher und Literatur eigentlich gar nicht ihr Metier sind, kommt die kühle Schwedin langsam auf den Geschmack dieses "hyggeligen" - wenn auch wenig hygienischen - Lebens in der britischen Metropole. Auch William - wer hätte das gedacht - übt eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die finanziellen Probleme der Buchhandlung und die Frage, warum ihre ihr unbekannte Tante ihr diese vererbt hat.
Die Gegenwartshandlung (ohne Jahresangabe) wird durch alternierend erzählte Ereignisse aus den Jahren 1982-1983 durchbrochen. In diesen Vergangenheitskapiteln geht es um die Geschichte der Schwestern Kristina und Sara, Charlottes Mutter bzw. Tante. Nach und nach wird das Geheimnis gelüftet, was deren Erlebnisse im London der Achtziger Jahre mit Charlottes Gegenwart zu tun haben.
Die Rückblenden sind tatsächlich sehr spannend. Man kann sich zwar schon früh ein wenig denken, was das große "Geheimnis" um Charlottes Existenz ist, aber die Innenwelt sowohl Kristinas als auch Saras wird hier sehr transparent und man bleibt als Leser dadurch an der Handlung dran.
Charlotte finde ich für eine Protagonistin aber dann doch wieder eher flach, an manchen Stellen sogar naiv. Die Nebenfiguren und auch die Figuren der Vergangenheitshandlung sind weitaus differenzierter ausgearbeitet worden.
Was die Bekehrung Charlottes zum “Büchermenschen” betrifft: auch das ist ganz nett gemacht. Literarische Referenzen sind geschickt eingebaut worden, nur die Geschichte mit J.K. Rowling wirkt sehr finde ich dann doch sehr unglaubwürdig - selbst für einen “Wohlfühl-Frauenroman”.
Nichtsdestotrotz:: Das Buch hat mir als Ganzes sehr gut gefallen. So wie einem ein alter Pulli oder ein bequemes Sofa gefällt mit einer heißen Tasse Tee daneben: einfach, nichts Neues, aber warm und kuschelig. Echte "Feelgood-Literatur" eben, wie sie im Buch auch an einer Stelle erwähnt wird.
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Samstag, 30. November 2019
"Eisige Weihnachten" von Ella Danz
Oh, du Unspannende!
Ein verschneites, abgelegenes Hotel im Thüringer Wald, das gerade den Betrieb eingestellt hat. Das ist der Schauplatz von Ella Danz' Krimi "Eisige Weihnachten". Weil die Familie der erfolgreichen Geschäftsfrau Kerstin (der Protagonistin, aus deren Sicht erzählt wird) nicht darüber informiert wurde, dass das Hotel, das sie über die Weihnachtstage gebucht hatten, kurz vorher geschlossen wurde, fasst sich die ehemalige Hotelchefin mit dem sprechenden Namen "Frau Winter" ein Herz und lässt die gestrandeten Leute dort über Heiligabend residieren - ohne Aufsicht, Personal, etc. Ein eher unrealistisches Szenario in unserem von Reglementierungen und Verordnungen geprägten Land. Aber was soll's: man kann ja mal ein Auge zudrücken und sich auf die Story einlassen, schließlich sollte es gleich spannend werden. Naja, sagen wir mal so: erst muss man sich einprägen, wer hier wer ist. Immerhin beabsichtigen 13 (!) Leute, die irgendwie miteinander bzw. mit Kerstin verwandt sind, in dem verlassenen Hotel zu nächtigen und Weihnachten zu feiern.
Es gibt Kerstins Mann, mit dem sie erst seit kurzem verheiratet ist: André, sowie dessen Mutter. Dann ist da auch ihr Exmann Burkhard, mit dem sie bis vor kurzem noch zusammengelebt hat und mit dem sie den ebenfalls anwesenden, gemeinsamen Sohn Lukas hat. Kerstins Schwester Anke mit Ehemann Helmut und den zwei Töchtern im Teenager-Alter sind auch mit von der Partie. Auch Kerstins Bruder und dessen Frau Pamela sind anwesend. Zu guter Letzt: Kerstins Vater mit seiner neuen Freundin Lilo.
Die Einführung der Personen dauert ziemlich lang und man wartet immer darauf, dass jetzt der Krimi losgeht. Das Setting mit dem verschneiten, abgelegenen Hotel ohne WLAN ist jetzt auch nicht gerade innovativ, um es mal vorsichtig zu formulieren. Bietet aber normalerweise Potenzial für Spannung - normalerweise!
Als auch nach 67 % des Buches immer noch nicht wirklich etwas Spannendes passiert war, außer dass Kerstin schon des Öfteren in eine brenzlige Situation geraten ist und mehrere ihrer Familienangehörigen in und um das große Hotel verschwunden waren (Spoiler: um kurz danach ohne Kratzer und Probleme wieder aufzutauchen), begann ich zu zweifeln: ist das hier wirklich ein Krimi? Die ganzen "Vorkommnisse" sind nämlich kein wirklicher Katalysator für den Plot.
Erst kurz vor Schluss beginnt sich die - sehr kurze - "Krimihandlung" zu entfalten - meines Erachtens viel zu spät. Außerdem war das Ende absolut lahm und vorhersehbar. Durch die Gespräche vorher konnte man schon erahnen, wer hier Dreck am Stecken hat.
Wer einen spannenden "Weihnachtskrimi", wie es auf dem Cover steht, erwartet hat, wird hier leider enttäuscht werden. Wer eine unglaubwürdige Story über den merkwürdigen Verlauf eines Weihnachtsabends lesen möchte - mit ein paar netten Rezepten im Anhang - der möge gerne zugreifen.
Herzlichen Dank an den Gmeiner Verlag und netgalley für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: Link
Dienstag, 26. November 2019
"Zwei Theaterstücke" von Martin Schörle
Es gibt wahrscheinlich kaum zwei Welten, die weniger zusammenpassen als die Beamten- und die Theaterwelt. Auf der einen Seite ist in unserer Vorstellung alles bürokratisch, langsam und starr, auf der anderen chaotisch, lebendig und impulsiv! Wenn dann jemand versucht, eine Brücke zwischen diesen so unvereinbar scheinenden Bereichen zu bauen, dann ist das einfach nur spannend, neu und mutig. Martin Schörle, selbst Verwaltungsbeamter und Schauspieler, hat zwei Theaterstücke geschrieben, von denen eins auch in der “Beamtenwelt” spielt. Diese beiden Stücke - "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten" und "Einladung zum Klassentreffen" sind - laut meinem Verständnis - tatsächlich für die Bühne geschrieben worden und keine reinen Lesedramen (obwohl man sie auch wunderbar als solche betrachten und rezipieren kann).
"Herr Fredenbek" ist nun der einzige Darsteller im Monodrama "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten". Dieses Stück besteht aus einem einzigen langen Monolog, der gelegentlich durch Regieanweisungen -Telefonate, Stimmen aus dem Off, etc. - und Brechtsches Anreden des Publikums durchbrochen wird. Dieser Monolog ist wiederum ein einziger langer Seelenstriptease dieser satirisch überzeichneten Beamtenfigur, die es der Zuschauer/Leser "liebt zu hassen".
Fredenbeks Dämonen liegen vor allem darin begründet, dass er mit seinem Beamtentum so verwoben scheint, dass er nur noch in der Welt der Paragraphen und Verordnungen sicher existieren kann. Die Zwischentöne des gesellschaftlichen und menschlichen Zusammenlebens jenseits der Amtsstube vermag er kaum noch zu entziffern. Wenn zum Beispiel seine Frau ihn fragt, ob sie abends das Auto haben könne, dann kann er die Bedeutung dieses Satzes nicht entschlüsseln. Muss er eine Steuerklasseänderung als Konsequenz befürchten?
Auch das "ewig Weibliche" zieht ihn ganz faustisch hinan - in Gestalt seiner Kollegin Karin Umlauf. Wie soll er nur mit diesem gepunkteten Kleid und den ganzen erotischen Spannungen klar kommen - ganz ohne Kopierauftrag?
Obwohl das Stück sehr schwarzhumorig und damit sicher Geschmackssache ist und Herrn Fredenbeks Tiraden alles andere als politisch korrekt, hätte es für mich ruhig noch länger sein dürfen. Sehr amüsiert habe ich mich über so manche Lebensweisheit ("soziales Umfeld", Seele der Frau, etc.) und Verschwörungstheorie Fredenbeks (Papst Ratzinger, 3. Oktober, etc.).
Wahrscheinlich hat Martin Schörle aber einem potenziellen Darsteller mit der verhältnismäßigen Kürze des Einakters einen großen Gefallen getan - es dürfte definitiv eine schauspielerische Herausforderung darstellen.
Das zweite im Buch enthaltene Stück ist nun ein ganz anderes Kaliber. Ein Mehrpersonenstück ist "Einladung zum Klassentreffen", wobei die beiden Hauptrollen "Sie" und "Er" den Löwenanteil ausmachen. Es ist ein Kammerspiel zweier ehemals Liebender, die sich nun nach 20-jähriger Pause - zunächst im Rahmen eines Telefongesprächs - wieder annähern. Sie, Marina, ist 40 und von ihrem Exmann, Holger, getrennt, weil dieser keine Kinder wollte. Mittlerweile hat er aber eins und ist wieder verheiratet. Carsten, ebenfalls in Marinas Alter da Mitabiturient, ist Marina nach wie vor verbunden, denn so richtig geklappt hat es bei ihm mit dem anderen Geschlecht ebenfalls nicht.
Das Stück ist tragikomisch wie es nur sein könnte. Es erinnert mit seinem Wortwitz und der sympathischen Unbeholfenheit seiner Protagonisten in der Midlife-Crisis an so manche Szene von Loriot und Evelyn Hamann.
Insgesamt ist dieses Stück um einiges zahmer und “mainstreamiger” als das Drama um Herrn Fredenbek. Aber das bringt die Thematik rund um das Thema verflossener Beziehungen mit sich, mit dem sich sicher mehr Leser/Zuschauer identifizieren können als mit einem psychisch instabilen Beamten.
Diese beiden Stücke von Martin Schörle waren für mich eine positive Überraschung und vielleicht bietet sich in Zukunft ja öfter die Gelegenheit, dass sie ihrer wahren Bestimmung zugeführt werden: als von Schauspielern gespielte Stücke auf der Bühne - vor Publikum.
Das Stück ist im Engelsdorfer Verlag erschienen. Ich bedanke mich recht herzlich bei Martin Schörle für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos: hier
Sonntag, 24. November 2019
"Tolstois Bart und Tschechows Schuhe. Streifzüge durch die russische Literatur" von Wladimir Kaminer
Was Sie schon immer über Nabokovs Schmetterlinge, Tolstojs Bartlänge und Tschechows Tierliebe wissen wollten...
Literarische Kanons sind momentan im Trend. In unserer schnelllebigen Zeit möchte man belesen sein und wirken, aber gleichzeitig genau wissen, was es der Mühe wert ist gelesen zu werden und was eher nicht. Vor allem wenn die Klassiker Hunderte oder sogar Tausende von Seiten umfassen, wie in der russischen Literaturgeschichte nicht selten der Fall, möchte man wissen ob sich der Griff zum "Schinken" lohnt oder ob es reicht, ihn als literarisches Statussymbol im Schrank verstauben zu lassen.
Wladimir Kaminer, deutsch-russischer Schriftsteller und selbst in Moskau geboren, hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, die vielen so fremde russische Literatur oder vielmehr die Verfasser dieser Literatur dem deutschen Lesepublikum näherzubringen. "Tolstois Barts und Tschechows Schuhe" ist eine Art "Autoren-Kanon" des Schriftstellers Kaminer. Aber nicht nur die Autoren der "dicken Schinken" kommen vor, sondern auch die der literarischen Kleinformen.
Kaminer beleuchtet in 7 Kapiteln das Leben und Werk der Schriftsteller Dostojewski, Tolstoi, Tschechow, Bulgakow, Majakowski, Nabokov und Charms. Ich persönlich hätte mir noch ein Kapitel über einen russischen Romantiker (Puschkin, Lermontov) gewünscht. Auch AutorInnen wären sicher interessant gewesen. So bleibt es ein rein männliches Buch, in dem Frauen nur als tragische Protagonistinnen (Anna Karenina), Sekretärinnen und Nachlassverwalterinnen (Dostojewski), schwierige Ehefrauen (Sofja Tolstaja) und Mütter eine Nebenrolle spielen.
Kaminer verwebt seine eigene Biografie mit den Anekdoten über die Schriftsteller. Die Berührungspunkte sind manchmal Parallelen zu seinem eigenen Leben (wenn seine Träume z.B. von der Nabokov-Lektüre inspiriert werden), seiner eigenen Familiengeschichte (Tschechows Schuhe, Majakowskis Staubphobie) oder einfach die unterschiedlichen Erfahrungen der Rezeption der großen Klassiker, die er schon in der Schulzeit machte oder später als Tontechniker einer Theaterbühne. Auch gegen das Heimweh halfen die Schriftsteller seiner Heimat dem frisch in Berlin angekommenen Kaminer. Ähnlich wie Majakowski machte er mit einem Freund literarische Performances, eine Art "Poetry Slam", in seiner Anfangszeit in Deutschland. Und bis heute beschäftigt er sich mit dem geistigen Erbe Russlands, wie man am vorliegenden Buch erkennen kann, das teilweise bereits früher veröffentlichte und überarbeitete Essays enthält.
Die anekdotischen Schilderungen sind biografische Abrisse aus der subjektiven Sicht Kaminers. Er erzählt, was ihm erzählenswert scheint aus dem Leben der berühmten Autoren. Auch eine literaturgeschichtliche Einordnung nimmt Kaminer vor. Gelegentlich rückt er sogar Falschannahmen bisheriger Biografen mit neuen Fakten zurecht (z.B. Tschechows Bruder).
Es war einfach sehr interessant, etwas über die skurrile - gleichzeitige - Entstehungsgeschichte von Dostojewskis Der Spieler und Der Idiot zu erfahren oder über Tolstojs asketisches und oft chaotisches Leben. Am besten hat mir das Kapitel über Anton Tschechow gefallen, weil ich sein Werk von allen vorgestellten Autoren am besten kenne. Seine "Literatur des Zweifels" (S. 106), die unserer modernen Zeit am nächsten ist. Mit dem sehr politischen Kapitel über Bulgakow konnte ich leider nicht so viel anfangen. Eine Überraschung war für mich der futuristische Dichter Majakowski, der mir bis zur Lektüre gar nichts sagte. Sehr gut hat mir auch das Kapitel über Nabokov und seine Schmetterlinge gefallen.
Man merkt Kaminer mit jedem Wort die Leidenschaft und Begeisterung an, mit der er über sein Thema schreibt. Sehr unterhaltsam und informativ sind diese Essays. Allerdings sollte man schon selbst etwas Interesse an russischer Literatur und Geschichte mitbringen. Wer diese Voraussetzung erfüllt, sollte auf jeden Fall zu diesem durch den "Wunderraum-Verlag" sehr schön gestalteten (Leinenrücken mit aufgedrucktem Titel) und toll geschriebenen Werk greifen.
Ich bedanke mich recht herzlich beim Bloggerportal von Randomhouse für dieses Rezensionsexemplar!
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Donnerstag, 21. November 2019
"Der zehnte Gast" von Shari Lapena
(Cover: Lübbe)
Mehrere Leute sind zusammen in einem abgelegenen Hotel eingeschlossen - und dann passiert ein Mord. Das ist ein Szenario, das alle Liebhaber von klassischen Whodunit-Krimis - zu denen ich mich zähle - kennen dürften. Hier ist das Setting ein typisches Hotel auf dem Land im Staate New York, wo sich gestresste Großstadtpärchen für gewöhnlich ein romantisches Wochenende gönnen. Mit der Idylle ist es schnell vorbei, als ein Schneesturm aufzieht. Natürlich gibt es weder WLAN noch Handyempfang, der Festnetzanschluss ist durch den Schneesturm tot und es wäre zu gefährlich, sich zu weit vom Hotel zu entfernen. Und dann ist plötzlich jemand tot und jemand anderes ein potenzieller Mörder. Ein "Locked-Room-Mystery" also.
Das Personal erscheint mir ein wenig am Reißbrett entworfen zu sein. Es gibt die alleinreisende Schriftstellerin, den erfolgreichen Strafverteidiger, die Kriegsberichterstatterin mit den seelischen Wunden und ihre geheimnisvolle Freundin, den reichen Neuengland-Erben mit der bildhübschen Verlobten, das mittelalte Paar in der Ehekrise und ein scheinbar ganz "normales" frisch verliebtes Pärchen, über das wir zunächst wenig erfahren. Komplettiert wird das Ganze vom Besitzer des Hotels und dessen Sohn mit der Drogenvergangenheit.
Lapena ist keine Wortakrobatin. Sie erzählt ergebnisorientiert und nur so viel, als es für die Handlung relevant ist. Die Landschafts- und Umgebungsbeschreibungen sind nur im Einsatz, um zu illustrieren, wie schlimm die Wetterverhältnisse sind und wie abgelegen das Hotel. Die düstere und altmodische Atmosphäre im Hotel wird mehrfach eindrücklich beschrieben. Dennoch kommt das alles ein wenig hölzern und "gewollt" rüber, so dass man unweigerlich an eine Theaterkulisse denken muss - oder an ein Krimidinner oder ein Exit-Room-Spiel, wo einen der Spielleiter ständig darauf hinweist, dass hier etwas seeehr verdächtig ist. So kommen auch alle im Hotel Eingeschlossenen perspektivisch zu Wort. Jeder verdächtigt jeden und der Leser muss sich durch den Dschungel von gegenseitigen Verdächtigungen winden.
Je weiter die Erzählung fortschreitet, desto weniger genau wird die Handlung beleuchtet. Während um den ersten Mord noch einiges Aufhebens gemacht wird, passieren die anderen immer mehr nebenbei. Irgendwann wurden es mir auch zu viele Leichen. Klar, oft wird auch ein Verdächtiger mit einem "Aha-Effekt" ausgeschaltet, aber ich fand das dann nicht mehr reizvoll, sondern einfach nur noch too much.
Die Auflösung war leider auch kein Wow-Effekt und die unglaubwürdige Geschichte, die dahintersteckt, auch nicht. Die Story ist zu einfach gestrickt, es fehlt einfach an Raffinesse. Durch die flachen Charaktere hat der Leser keine Ansatzpunkte für Empathie.
Fazit: Das Buch ist weder sprachlich-erzähltechnisch, noch auf den Plot bezogen eine Sensation. Die Charaktere sind zu oberflächlich, als dass man richtig mitfühlen könnte. Dennoch denke ich dass sich mancher weniger anspruchsvolle Krimiliebhaber für das Buch erwärmen könnte - als schnelle, wenig anspruchsvolle Lektüre zwischendurch.
Herzlichen Dank an Bastei Lübbe und netgalley für das Rezensionsexemplar!
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"Swinging Bells" von René Freund
Wie sehr habe ich mich auf dieses Buch und eine richtig schöne leichte Weihnachtskomödie gefreut. Das Cover, der Titel, die Inhaltsangabe waren in dieser Hinsicht vielversprechend.
Ach ja das Missverständnis - die Quintessenz allen komödiantischen Schreibens! Es hätte so eine schöne Komödie werden können...hätte!
Die Situation ist die: Aufgrund eines Missverständnisses findet sich das Swingerpärchen Leo und Elisabeth bei dem verheirateten Paar Thomas und Sandra ein, die eigentlich nur ein Bett verkaufen wollten. Es ist Heiligabend. Was dann folgt, ist der Verlauf eines skurrilen Weihnachtsabends mit vielen verschiedenen Untertönen. Ja, durchaus auch humoristisch-augenzwinkernden, aber leider kam mit der Zeit immer mehr Pathetisches und Dramatisches dazu, das das Humorvolle ad absurdum führte.
Thomas ist Cheflektor eines österreichischen Verlags, weswegen er immer wieder darüber nachdenkt, welche Ausdrücke, Begriffe und Handlungselemente er seinen Autoren nicht "durchgehen lassen" (S. 46) würde. Das ist natürlich höchst amüsant weil metatextuell: dem realen Autor René Freund gehen nämlich genau all diese Sachen tatsächlich "durch" - das vorliegende Buch ist der physische Beweis! Das gefällt mir.
Thomas hat ebenfalls einen kleinen Gesundheitswahn und Angst vor schädlichen Stoffen, die er in jedem Essen, das nicht biologischer Herkunft ist, vermutet. Sandra hingegen ist genervt davon und das wiederum bringt Thomas auf die Palme. Das wäre auch ein guter Ansatzpunkt gewesen für eine Komödie.
Im Laufe der Handlung entsteht die paradoxe Situation, dass die beiden promiskuitiven Swinger Leo und Elisabeth zu den "moralisch Überlegenen" werden und auf die kleinkarierten Spießer Thomas und Sabine herabschauen. Die Swinger leben schließlich ihre Fantasien aus, während bei vermeintlich monogamen Paaren eine unterdrückte Lust gezüchtet würde, die letztendlich zu Fremdgehen, Lügen und Scheidung führe. Sex ist schließlich nichts so Großes, argumentieren die Swinger und Liebe solle davon unberührt betrachtet werden. Das monogame Paar steht also plötzlich als das Fragwürdige da.
Anders als René Freuds Buch "Liebe unter Fischen" konnte mich dieses Buch leider nicht begeistern. Ich hatte eine locker-leichte Weihnachtskomödie erwartet, bekommen habe ich bis auf ein paar kleine Schmunzler aber die hübsch verpackten Themen Betrug, Tod, Trauer und Verlust, gelegentlich durchbrochen von Schlüpfrigkeit. Der Autor kann sehr gut schreiben, allerdings bin ich weder mit den Figuren, noch mit der Handlung richtig warm geworden.
Das Buch weiß einfach nicht, was es sein will. Es ist nicht richtig witzig, aber auch nicht richtig ernsthaft-seriös. Für eine Tragikomödie nicht gut genug. Es könnte sein dass der Dramaturg Freund Stücke wie "Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza im Hinterkopf hatte. Um diesem Vergleich stand zu halten ist "Swinging Bells" allerdings wieder viel zu zahm und klischeebehaftet. Vielleicht passt die Prosaform hier einfach nicht. Manche Dialoge und Situationen sind sehr szenisch. Als Film könnte ich mir dieses Prosastück auch gut vorstellen. Anschauen würde ich mir den Film trotzdem nicht.
Das Ende nimmt dann auch jedes Klischee im Vorbeigehen mit. Es ist schließlich Weihnachten.
Ich bedanke mich bei lovelybooks für die Leserunde mit Autorenbegleitung und bei den Hanser Literaturverlagen (Deuticke) für das Rezensionsexemplar!
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Dienstag, 19. November 2019
"Weltliteratur für Eilige. 101 Bücher auf einen Blick" von John Atkinson
Muss man Klassiker wirklich lesen? Sich durch meist altertümlich anmutende Beschreibungen, sprachliche Anachronismen, einen oft verwirrenden Plot mit schwer zu merkenden Charakteren, die von Problemen längst vergangener Zeiten geplagt werden, quälen? Wenn es nach dem Autor John Atkinson und seinem Buch "Weltliteratur für Eilige: 101 Bücher auf einen Blick" geht, dürfte die Antwort "nein" lauten. 101 sogenannte Klassiker der Weltliteratur hat Atkinson auf ein bis zwei Illustrationen und einen Ein- oder Zweizeiler herunter gekürzt.
Das Paradoxe an diesem Buch, das natürlich eine augenzwinkernd-humoristische Intention besitzt, ist, dass man eben genau dann Spaß an den kleinen "Comics" hat, wenn man das beschriebene Buch tatsächlich gelesen hat.
Ich habe mal gezählt und bin auf immerhin 40 gelesene von 101 vorgestellten Klassikern gekommen, von ca. 20-30 anderen kenne ich zumindest den Plot in Grundzügen.
Mit der Auswahl bzw. Gewichtung der Autoren und Autorinnen bin ich nicht ganz zufrieden, denn das Buch konzentriert sich sehr stark auf den englischsprachigen Teil der Weltliteratur. Natürlich ist es unbestritten, dem größten literarischen Genie aller Zeiten - Shakespeare - gleich mehrere Einträge zu widmen. Auch Jane Austen, Charles Dickens, James Joyce und Virginia Woolf sowie einige andere sollten gesetzt sein. Etwa ein Viertel der eingetragenen Werke stammen von SchriftstellerInnen aus Nordamerika. Man merkt eindeutig, dass der Autor Amerikaner ist. Bei den amerikanischen Autoren muss ich mich allerdings fragen, wieso Dan Brown abseits der Verkaufszahlen seiner Bücher unter "Klassiker der Weltliteratur" fallen sollte. Einige der amerikanischen Schriftsteller (Stephen Crane, Ayn Rand, William S. Burroughs, E.B. White) musste ich erst recherchieren. Neben den russischen Klassikern (Dostojewski, Tolstoj, Tschechow) kommen noch ein paar Franzosen (Camus, Proust) und Italiener (Dante, Machiavelli) vor sowie antike Denker (Homer, Platon, Vergil) und ein Spanier (Cervantes). Der einzige deutschsprachige Autor, der es in Atkinsons Auswahl geschafft hat, ist Kafka (natürlich zurecht) mit 2 Einträgen. Goethe, Schiller, Fontane, Mann, etc. sucht man allerdings vergebens.
Mal abgesehen von der einseitigen Gewichtung ist das Buch ein kurzweiliger Spaß zum "Immer-wieder-Durchblättern" für Literaturwissenschaftler und Leser, die sich vor Klassikern nicht scheuen.
Für dieses Rezensionsexemplar bedanke ich mich recht herzlich bei HarperCollins Germany
Nähere Infos zum Buch: Link
Sonntag, 17. November 2019
"Ein dänischer Winter" von Sanne Jellings
Eine emanzipatorisch-”cleane” Novelle
Das afrikanische Leben der dänischen Farmerin und Schriftstellerin Karen Blixen (1885-1962) und ihre Liebesaffäre mit dem Großwildjäger Denys Finch Hatton sind durch den Film "Jenseits von Afrika" vielen bekannt. Jetzt ist mit "Ein dänischer Winter" ein Prosastück in einer an den Jugendstil erinnernden, sehr hübschen Hardcoverausgabe, erschienen, das sich mit einem Aufenthalt Blixens in ihrer Heimat Dänemark im Winter 1929 beschäftigt.
Die Großbürgerstochter und angeheiratete Adelige Karen Blixen trifft auf die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Minna, die eigentlich Lehrerin werden möchte, sich aber aufgrund der Armut ihrer Familie als Hausangestellte bei den Dinesens (Karen Blixens Herkunftsfamilie) verdingen muss. Die 44-jährige geschiedene Baronin Karen Blixen macht dem jungen Mädchen, das ihr sympathisch ist, ein Angebot, das ihr Leben verändern könnte. Wird sie annehmen?
Die Autorin Sanne Jellings lässt zwei Frauenfiguren aufeinandertreffen, die an einem Scheideweg stehen. Blixen steht in der Mitte des Lebens, eine Schriftstellerin ist sie noch nicht, aber eine Geschichtenerzählerin. Sie hat finanzielle und gesundheitliche Probleme und weiß nicht, ob sie ihre geliebte Farm in Afrika halten kann. Auch mit Denys, dem Mann ihres Lebens, ist es zunehmend kompliziert. Liebt er die Freiheit mehr als sie?
Minna hingegen kennt die Liebe nur aus der Distanz und muss am Anfang des Buches eine amouröse Enttäuschung verarbeiten. Die sozialen Verhältnisse ihrer Familie determinieren ihre Möglichkeiten. Sie steht am Beginn ihres Erwachsenenlebens, das vor ihr liegt wie die afrikanische Weite, die Blixen so sehr liebt. Für welchen Weg wird sich Minna entscheiden? Welches Frauenbild will sie leben?
Auf nur 157 Seiten bleibt Jellings nicht der Raum, ihre Charaktere bis ins letzte Detail auszudifferenzieren. Ich finde das aber auch gar nicht nötig, denn die Kürze des Romans lässt uns auch an eine andere literarische Gattung denken: die Novelle! Die hat ja bekanntlich eine "sich ereignete unerhörte Begebenheit", wie es Goethe formuliert hat, zum Gegenstand. Auch hier ist die knapp gehaltene Erzählung stringent und auf einen Höhepunkt zulaufend. Die beiden Protagonistinnen sind sehr individuell gezeichnet. Sie und ihr Schicksal wecken das Interesse des Lesers.
Dass es ein feministisches Buch ist, ist evident, denn es geht schlicht um die Frage, was ein Leben als Frau lebenswert macht und wie frau es am besten gestalten kann. Unterschiedliche Wege werden anhand der Protagonistinnen, aber auch durch die Mütterfiguren der beiden, aufgezeigt. Darf man sich frei entscheiden für einen Weg, obwohl der Status und die wirtschaftliche Situation einen scheinbar determinieren? Die Kernaussage der Novelle ist: man darf und kann und soll sich für einen eigenen Weg entscheiden - gerade weil und obwohl man eine Frau ist.
“Ein dänischer Winter” ist ein “ruhiges” Buch, das eher die inneren Kämpfe der beiden Frauen zum Thema hat. Zudem strahlt das Setting, der Hof der Dinesens “Rungstedlund”, sehr viel “Weiß”, Helligkeit und typisch dänische “Hyggeligkeit” aus. Alles ist irgendwie clean und gleichzeitig gemütlich. Inhalt und Form (weißes Cover mit floralen Jugendstilranken) passen hier perfekt zusammen.
Ich fand diese Novelle sehr lehrreich und interessant. Man bekommt einen Einblick in das dänische Leben der Karen Blixen und die historischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Ich mochte auch die emanzipatorisch-feministische Komponente der Geschichte. Alles in allem ein sehr gutes Buch!
Für dieses Rezensionsexemplar möchte ich mich recht herzlich beim Rowohlt(Kindler-)Verlag bedanken!
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Dienstag, 12. November 2019
"Der Weihnachtspulli" von Cecilia Heikkilä
Zauberhaftes Weihnachtsbuch in urbanem Setting
“Der Weihnachtspulli” von Cecilia Heikkilä aus dem Dragonfly-Verlag, dem neuen tollen Kinderbuch-Imprint von HarperCollins, hat mich sofort magisch angezogen. Hier stimmen Titel und Inhalt insofern perfekt überein, als dass beide ein Gefühl der Wärme erzeugen: sowohl der Pulli, als auch die herzallerliebste Bildergeschichte an sich.
Wie es so oft bei Bilderbüchern für die Kleinen der Fall ist, greift die Autorin auch hier auf Tiere zurück, um ihre Geschichte anschaulich zu machen. Dies ist insofern gut, als sich Kinder meist universeller mit den tierischen Helden identifizieren können als mit Kinderfiguren, die durch ein bestimmtes Aussehen oder Geschlecht oft nur einen Teil des Zielpublikums ansprechen.
In “Der Weihnachtspulli” ist der tierische Protagonist ein Kater namens “Munkel”, der in seinem Quartier in der winterlich-verschneiten Stadt schrecklich friert. Zum Glück hat er seinen warmen roten Pulli, der ihn zuverlässig wärmt. Außerdem hilft Bewegung gegen Kälte und so macht sich Munkel auf den Weg zu einem Stadtspaziergang. Im Weihnachtstrubel sind die dargestellten Tiere den Menschen sehr ähnlich: Sie sind geschäftig, aber ihnen ist auch feierlich zumute. Wenn Munkel an der Buchhandlung oder der duftenden Bäckerei vorbeikommt, wird in Kombination mit den Illustrationen eine ganz besonders festliche Atmosphäre erzeugt. Gegen Ende des Spaziergangs ist aber alle weihnachtliche Stimmung dahin, denn eine Laufmasche hat dafür gesorgt, dass Munkel nur noch Fäden übrig hat - und keinen Pulli mehr! Munkel folgt dem Faden, der plötzlich in Bewegung gerät, durch die weihnachtliche Stadt. Der Faden führt ihn schließlich in die Buchhandlung von Herrn Dachs, der vor einem offenen Kamin aus Munkels Pulli etwas Neues strickt. Er lädt Munkel dazu ein, bei ihm zu bleiben. Frieren wird Munkel in Zukunft nicht mehr müssen.
Dieses Buch ist wirklich ein Schmuckstück. Die Illustrationen sind zeitlos schön und so “Hygge”, dass man eigentlich auch sofort in diese Stadt ziehen und mit Herrn Dachs eine Tasse Tee in seiner Buchhandlung trinken möchte. Die Botschaft ist meines Erachtens die, dass sich schlechte Dinge - wie der Verlust einer geliebten Sache - zum Guten wenden können. Ohne seine Laufmasche hätte der Kater nie die Buchhandlung betreten, an der er vorher vorbeigelaufen ist und die ihm jetzt sogar ein neues Zuhause bietet.
Sehr schön finde ich auch, dass dieses Kinderbuch mal eine andere kindliche Lebenswelt abbildet, nämlich die Stadt. Meist spielen Bilderbücher, in denen ausschließlich Tiere vorkommen, entweder auf dem Bauernhof bzw. ländlicher Umgebung oder im Wald bzw. der freien Natur. Hier ist es mal ein urbanes Setting und dadurch erfrischend anders. Romantische Häuschen und weihnachtlich beleuchtete Straßenzüge bilden die Kulisse für den Verlust des Pullis.
Alles in allem sei dieses Kinderbuch jedem wärmstens ans Herz gelegt, natürlich vor allem denen, die ihren Kindern daraus vorlesen möchten. Ein Buch, das sich auch perfekt als kleines Weihnachtsgeschenk oder Mitbringsel eignet.
Für das Rezensionsexemplar bedanke ich mich ganz herzlich bei Harper Collins und dem Dragonfly-Verlag! Nähere Infos zum Buch: Link
Sonntag, 10. November 2019
"Die Stunde der Räuber. Der Schiller-Roman. Erster Teil" von Udo Weinbörner
Zum 260sten Geburtstag Friedrich Schillers heute am 10.11.2019 reiche ich euch eine Rezension nach über ein Buch, das Schillers Jugendjahre zum Thema hat.
Schiller auf dem Weg zu sich selbst
Udo Weinbörner hat sich der Herausforderung gestellt, einen historischen Roman über eine historische Persönlichkeit zu schreiben. Will man sich einer solchen Persönlichkeit nähern und ihre Lebensgeschichte in eine erzählende Form bringen, muss man zunächst Wissen anhäufen. Quellenstudium heißt die Devise. Ist die Person, die erzählerisch abgebildet werden soll auch noch Schriftsteller oder Künstler, muss man sich das Werk ganz genau anschauen, am besten auch noch das der Zeitgenossen.
In dieser Disziplin zu reüssieren ist sicher nicht eine der leichtesten Übungen, zumal die Persönlichkeit, über die im vorliegenden Fall geschrieben wurde keine geringere ist als Friedrich Schiller, der neben Goethe größte Dichter und Dramatiker der Deutschen.
Der Roman "Die Stunde der Räuber. Der Schiller-Roman. Erster Teil" ist als Ganzes bereits im Schiller-Gedenkjahr 2005 erschienen und wurde nun im Rahmen einer Taschenbuchausgabe in zwei Bänden neu aufgelegt, Teil 2 erscheint im Jahr 2020. Der Autor hat neue Szenen hinzugefügt und wohl auch einiges umgearbeitet.
Wir lernen “Fritz” als sehr jungen Mann kennen, der gerade dabei ist das Elternhaus unfreiwillig zu verlassen. Herzog Carl Eugen von Württemberg will ihn als Eleven für seine “Militärische Pflanzschule”. Er soll also eine militärische Beamtenlaufbahn auf Gnaden des Herzogs einschlagen, wofür dieser im Gegenzug absolute Dankbarkeit und Unterwerfung einfordert. Die Fürstenwillkür oder überhaupt der Absolutismus der Mächtigen, den Schiller in seinen Werken anprangern wird, kommt hier zum Tragen. “Gedankenfreiheit” wird zum Schlüsselwort in Schillers Innenwelt, denn in der Außenwelt wird diese systematisch unterdrückt.
Zum Glück gibt es die Mitschüler und einen wohlgesonnenen Lehrer, die Literatur in der Schule zirkulieren lassen. So war es dem jungen Schiller möglich die älteren Zeitgenossen, Lessing, Goethe und Klopstock und auch den großen Shakespeare zu lesen und zu verinnerlichen.
Langsam aber sicher wird Schiller zum Schriftsteller, der neben der Ausbildung schreibt, auch um nicht an den widrigen Umständen zu zerbrechen. Die Geschichte des Schriftstellerkollegen Schubart zeigt was passiert, wenn man sich mit Worten gegen die Mächtigen auflehnt. Sein Schicksal wird für Schiller zum Antrieb und Damoklesschwert zugleich.
Das Freundschaftsideal des “Sturm und Drang”, das Schiller rigoros praktiziert, wird beschrieben. Dann seine relativ kurze Zeit als Militärarzt, seine ersten Schritte auf Freiersfüßen in Richtung des anderen Geschlechts, seine desolate wirtschaftliche Situation. Schließlich steuert die Handlung auf Höhepunkt des ersten Teils zu: Schillers heimlicher Ausflug nach Mannheim, die Aufführung der “Räuber” und damit sein erster Erfolg als Dramatiker, die Ernüchterung ob der finanziellen Lage und schließlich der Weggang aus Württemberg.
Viele Begebenheiten sind wirklich gut erzählt und man hat durchaus das Gefühl, man hat Teil an etwas Großem, dass man einen Schlüsselmoment in Schillers Persönlichkeitsentwicklung hautnah mitbekommt. Sehr lebendig ist die Szene, in der Schiller den Herzog imitiert und zuhört, als über die Weltpolitik (hier: der amerikanische Unabhängigkeitskrieg) diskutiert wird.
Seinem Charakter kommt man vor allem im Zusammenspiel mit seinen Freunden durchaus nahe. Wenn er für seine Werke um Anerkennung bei seinen Mitschülern buhlt, so kommt sein Geltungsdrang, seine mangelnde Kritikfähigkeit und auch seine Verletzlichkeit heraus. Auch wenn Schiller sich von seinem Freund Scharffenstein abwendet, gibt es tatsächliche Interaktion, ein Zusammenspiel, einen Austausch.
Schön fand ich auch das erste Aufeinandertreffen mit Goethe bzw. die Auseinandersetzung also Abarbeitung Schillers am 10 Jahre älteren Goethe, der schon ein großer Name war. Auf seiner Abschlussfeier treffen sie aufeinander. "Goethe schien kaum hinzuhören, wirkte unbeeindruckt vom zeremoniellen Stumpfsinn seiner Umgebung (...) Ein großer Geist ist wahrhaft frei, dachte Schiller, fast ein wenig neidisch." (S. 173)
Dass es zwischen den beiden eine “Freundschaft” gegeben haben soll, diesen Mythos will Weinbörner demontieren, im zweiten Teil dann, denn erst dann spielt der “Antipode” in Weimar eine Rolle jenseits der Rezeption seiner Werke.
Ein Paukenschlag ist schließlich der Showdown am Ende des zweiten Buchs, die Auseinandersetzung mit dem Herzog, kurz bevor Schiller Württemberg den Rücken kehrt.
Der Autor baut hier und da “witzige” Szenen oder Elemente ein, also eine Art von “comic relief”, das dem Leser zur Aufheiterung dienen soll. Zum Beispiel als Schiller, dem Pathos ergeben, weil er sich von seinen Freunden unverstanden fühlt, Shakespeare zitiert und die Freunde finden: “Das ist genialisch! [...]” “Das ist aus Hamlet, antwortete Schiller [...]” (S.152) Oder wenn Christophine ihren Bruder schimpft, weil er sein Zimmer nicht aufgeräumt hat, obwohl doch die ganze Welt nunmehr bei ihm vorbeischaut. Solche Szenen oder die sehr humorvoll gezeichnete Figur “Kronenbitter” lockern die Handlung, die doch einen ernsten Grundton hat, auf.
Immer dann, wenn Schiller zweifelt oder verzweifelt, zeigt er sich dem Leser von seiner verletzlich-menschlichen Seite. Wie zum Beispiel, wenn er müde und psychisch am Ende um das Leben eines seiner Patienten bangt. "Er schrie, sprang auf, griff nach allem, was auf dem Tisch lag. [...] Er war allein mit sich und seinen Ängsten." (S. 245) Selbstzweifel und Verlorensein in der Welt - das alles ist nicht das, was man vom großen Schiller gemeinhin so kennt.
Auch am absoluten Höhepunkt des Buches, der Aufführung von Schillers Räubern, erlebt man nicht den triumphierenden Genius, der restlos davon überzeugt ist dass sein Stück - auch nach der Umarbeitung - ankommt, nein, er zweifelt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Ekstase des Publikums alle Bedenken im Jubelgeheul erstickt.
Ich ziehe meinen Hut vor dem Autor, es ist ihm gelungen trotz der Vielzahl an Sekundärliteratur und zeitgenössischen Quellen das Wichtigste herauszukristallisieren und dem Leser einen neuen Blickwinkel auf Schiller zu eröffnen. Sehr gut finde ich auch, dass wichtige Namen, Schlagworte und Werke fett gedruckt sind, so fallen sie einem beim Lesen gleich ins Auge. Zitate sind erfreulicherweise kursiv gesetzt.
Die Kritik, die ich trotz allem habe, bezieht sich auf die mangelnde "Erklärung" von Szenarien (also dass viele Namen und Orte sowie Institutionen nicht erklärt werden), das hohe Erzähltempo und vor allem die raschen Szenenwechsel, die ohne größere Absätze erfolgen.
Es ist es für mich eher ein “biographischer Roman” als alles andere, das tatsächlich erlebte Leben gibt die Handlung vor und es erfolgen wenige Seitenblicke, fiktive Spielereien (wie z.B. die Jesuitenszene - wobei diese Thematik für mich eher abschreckend ist) oder Inneneinsichten in Schillers Psyche.
Man sollte also schon ein Grundinteresse für den Menschen Schiller mitbringen, wenn man das Buch lesen möchte. Aber: wie könnte man nicht? Schiller war einfach ein sehr vielschichtiger, interessanter Charakter und Weinbörner vermag es diese Tatsache zu unterstreichen.
Herzlichen Dank an Udo Weinbörner, den Fehnland-Verlag und lovelybooks.de für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: Link
Homepage von Udo Weinbörner: Link
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