Donnerstag, 7. August 2025

"Öffnet sich der Himmel" von Seán Hewitt


Malerischer Coming-of-age-Roman, den man nie mehr vergisst

Wenn man richtig verliebt ist, mit ganzem Herzen und ganzer Seele, dann gibt es wohl kaum eine schlimmere Erkenntnis, einen größeren Schlag in das rosarote Brille tragende Gesicht, als den Satz: “Er/Sie/They steht einfach nicht auf dich.” Ich bin sicher, die allermeisten von uns haben ihn schon als perfide, vernichtende Stimme der Vernuft im sich grundlose Hoffnungen machenden, verknallten Hinterkopf gehört. Fast noch schlimmer ist es, wenn man einseitige, unglückliche Verliebtheit bei anderen beobachtet und zusehen muss, wie sie in ihr eigenes Elend rennen. Wenn sich diese einseitige Liebe in der Literatur zuträgt, dann befinden wir uns in der Rolle des Voyeurs, aber auch des verschämten Freundes - denn unglückliche Verliebtheit hat auch etwas schamvolles, unangenehmes an sich.

James, der sechzehnjährige Protagonist von “Öffnet sich der Himmel”, ist so ein unglücklich verliebtes Wesen, das man einfach nur in den Arm nehmen und vor der Welt beschützen möchte. Wir als Lesende lieben mit ihm den schönen, ein Jahr älteren Luke, der wegen seiner schwierigen Familienverhältnisse eine Zeit lang in James’ irischem Dorf Thornmere, bei dessen Onkel und Tante lebt. Wir interpretieren mit James die sanften Zeichen, die auf eine Gegenseitigkeit der Gefühle hindeuten könnte. Wir hoffen, wo es keine Hoffnung gibt, denn wir wissen von Anfang an: Luke wird James nicht zurücklieben und James wird ihm trotzdem ein Leben lang hinterhertrauern.

Schon vom ersten Satz an, hat mich dieses Buch in seinen Bann gezogen. Die Geschichte, die sich hier vor uns auffächert, ist auf die schönstmögliche Art und Weise erzählt worden, wie man Geschichten erzählen kann: blumig, bildreich, sanft, melancholisch, einfühlsam und gelegentlich sogar witzig. Seán Hewitt ist eigentlich Dichter und diese seine genuine Kunstform merkt man seinem ersten Roman auch an: hier wird im wahrsten Sinne des Wortes mit Worten gemalt. 

Dieser Roman hat mich wirklich sehr berührt und gefesselt und deshalb führt das, was ich jetzt sage, auch zu keinerlei Punktabzug und soll nicht als Kritik betrachtet werden. Aber ein Teil von mir möchte mehr wissen. Die Andeutungen, die James als Erwachsener aus der Retrospektive macht, lassen viele Fragen offen. Was ist aus James’ Eltern und seinem Bruder Eddie sowie dessen Krankheit geworden? Wie hat er seinen Mann kennengelernt, was war er für ein Typ und ist die Beziehung zu ihm wirklich wegen Luke auseinandergegangen? Tell me more! Und natürlich die brennendste Frage von allen: Hatten er und Luke danach keinen Kontakt mehr? Hat er von seinem Onkel und seiner Tante keine Infos über ihn erhalten können? Irgendwie macht es aber auch Sinn, dass dieser wundervolle Roman seine Lesenden in einem Zustand der Ungewissheit zurücklässt und sich so von ihnen verabschiedet wie Luke in der Morgendämmerung von James an der Türschwelle. Das Verlangen bleibt und wird niemals vergehen. 

Übersetzt aus dem Englischen von Stephan Kleiner.

Herzlichen Dank an Suhrkamp und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!

Sonntag, 3. August 2025

"Liebesheirat" von Monica Ali


“Liebesheirat”, ein Roman der britischen Autorin Monica Ali, klang so gut. Es sollte um eine interkulturelle Ehe in London gehen. Nämlich um die Ehe von Yasmin und Joe. Die indischstämmige Britin und der Engländer sind beide Ärzte, Ende 20 (oder Anfang 30 hab ich nicht mehr so genau auf dem Schirm) und lieben sich. Sie sind nicht das Problem, sondern die unterschiedlichen Ansichten der beiden Familien. Die Mutter von Joe, mit der er zusammenlebt, ist irgendwie Künstlerin, Uni-Dozentin und Feministin und hält dementsprechend natürlich nichts von Frauen, die sich einem Mann “unterordnen”. Das macht Yasmin auch nicht, aber irgendwie ihre Mutter, die Hausfrau ist und ihr Leben für die Familie “geopfert” hat. Naja, sie treffen dann zum ersten Mal aufeinander und statt eines Feuerwerks an Handlungselementen und brillanter Unterhaltung ob dieser skurrilen Situation, habe ich nur eins gefühlt: gähnende Langeweile. Es wird jedes kleinste Details lang, breit und ausführlich vor uns aufgefächert und ich habe nach 105 Seiten (erstmal) beschlossen, dass ich mir die ganzen 591 Seiten nicht geben will. 

Ich habe eigentlich sowas erwartet wie den Ben-Stiller-Film “Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich”, nur halt intellektueller und weniger Slapstick. Aber dass das so lame wird, war echt schade. Von den Charakteren fand ich einzig den Bruder, dessen Namen ich nicht mehr weiß, einigermaßen spannend. Weil er eben mit Mitte 20 noch zu Hause wohnt und nicht den beruflichen Ehrgeiz seines Vaters und seiner Schwester an den Tag legt. Er ist nicht perfekt und deswegen mag ich ihn. Vielleicht lese ich irgendwann nochmal weiter, um zu wissen, wie es mit ihm weitergeht. Yasmin und Jo interessieren mich leider herzlich wenig.

Übersetzt aus dem Englischen von Dorothee Merkel.


Mittwoch, 30. Juli 2025

Schreiben ist mühelos. Ein paar Gedanken zum Schreibprozess


Ich habe bei jemandem auf Instagram hier sinngemäß gelesen: Ich habe mir solche Mühe gegeben mit der Rezension und dann liken die Leute nur, weil ich ein ausgefallenes Bild dazu gepostet habe. Aufgrunddessen habe ich mich gefragt, ob ich mir jemals “Mühe” gegeben habe mit einer Rezension. Klar habe ich vielleicht schon 1-2 Sekunden länger über eine Formulierung nachgedacht oder sie im Nachhinein wieder gelöscht - aber Mühe gegeben? Nein. Ich schreibe es einfach so, wie es mir durch den Kopf geht. Gerade weil es mich keine Anstrengung kostet, macht mir das Rezensieren ja solchen Spaß. Ich würde es nicht machen, wenn es anstrengend wäre.

Der Gedanke hat mich weitergeführt: Hat mich das Schreiben meines Romans, also das literarische, “Mühe” gekostet? Man stellt sich immer Schriftsteller vor, die mit Disziplin und Arbeitsethos an ihre Texte gehen und so zu Erfolg kommen. Schreiben ist Arbeit, so der Tenor. Aber für mich? Zu keinem einzigen Zeitpunkt. Im Gegenteil: Die Worte sind durch mich durchgeflossen und ich habe mich oft gefühlt wie ein Medium, das meinem Ich-Erzähler und Protagonisten eine Stimme verleiht und seine Worte, die er mir durchgibt, zu Papier bringt. Als würde ich einen intellektuellen Download empfangen - einen Download vom Universum. 

Bis zu meinem Roman war ich nicht wirklich esoterisch veranlagt. So am Rande habe ich mich schon ein bisschen für Naturmystik, Wicca, etc. interessiert. Aber wirklich nur oberflächlich und wenn ich gerade den Edelsteinen und dem Räucherwerk auf den von mir frequentierten Mittelaltermärkten nicht widerstehen konnte. Mittlerweile beschäftige ich mich intensiver mit Meditation, dem “Universum”, früheren Leben und lerne das Kartenlegen - Tarot. Verrückt? Vielleicht, aber die Erfahrung dieses intensiven Schreibprozesses, der mich unglaublich erfüllt hat, hat mich für diese Themen empfänglich gemacht. Mich offen gemacht dafür, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als unsere Schulweisheit sich träumen lässt, wie es in meinem liebsten literarischen Werk heißt.

Ich habe einfach keine andere “rationale” Erklärung für diese Mühelosigkeit des Schreibens gefunden und Antworten dafür gesucht. Warum funktioniert das Schreiben wie geschnitten Brot? “Vor allem, WIE du das geschrieben hast", meinte einer meiner Testleser, fände er bewundernswert. Ich selbst ja auch und so richtig kann ich es nicht erklären, außer, dass es vielleicht nicht ganz von meinem Gehirn allein kommt. So empfinde ich es zumindest. Und nein: KI war zu keinem Zeitpunkt im Spiel, wenn man mal von Google-Suchen absieht. 

Übrigens: Nicht nur das Schreiben sollte meiner Meinung nach im besten Falle mühelos passieren, sondern auch das Lesen. Wenn Lektüren anstrengend werden, dann breche ich sie ab. Es sei denn, es handelt sich um ein Rezensionsexemplar und da bin ich auch sehr wählerisch und vorsichtig geworden mittlerweile. Prüfe im Vorfeld genauer, ob es auch wirklich etwas für mich ist.

Also: Ich hoffe, es hat euch keine Mühe gemacht, diesen spontan zusammengezimmerten Text zu lesen und das trifft auch auf alle anderen zu, die aus meiner Feder geflossen sind und noch fließen werden. Eure Vicky


Donnerstag, 24. Juli 2025

"Onigiri" von Yuko Kuhn


Das apfelförmige Holzbrett und der “Opasessel”

Japan, seine Kultur und seine Menschen verbinde ich immer mit einer gewissen “no nonsense”-Einstellung. So nach dem Motto: “Don't make a fuss. It's only life and eventually - it will pass…” Also bloß kein Drama machen angesichts dem unvermeidlichen Spiel und Zyklus des Lebens. Gute Miene und sich keine Blöße geben, ein freundliches Lächeln aufsetzen - Augen zu und durch. Und ich muss sagen, der Roman “Onigiri” von Yuko Kuhn hat mir auch genau diese “vernünftige Lebenseinstellung”, die ich mit Japaner*innen assoziiere, gespiegelt. 

Yuko Kuhn hat einen Roman geschrieben, von dem ich mir vorstellen könnte, dass er autofiktional ist. Ihre Lebensgeschichte deckt sich in vielen Punkten mit der der Protagonistin Aki: Deutsch-Japanerin,1983 in München geboren und aufgewachsen, Studium in Passau und Südfrankreich, etc. Aber ich kann verstehen, dass sie das Ganze in ein fiktionales Konstrukt mit anderen Namen gehüllt hat, die eigene Identität nicht zu 100% preisgeben wollte, ein wenig im Verborgenen lassen.

Das Kernthema des Romans ist Akis Beziehung zu ihrer an Demenz erkrankten Mutter Keiko, mit der sie ein letztes Mal in deren Heimat Japan reisen möchte. Um dieses Ereignis herum entspinnt sich ein bunter Fächer von anachronisch durchgewürfelten Szenen, in denen Aki von sich selbst und ihrer Familie erzählt. In den alternierenden Prosahäppchen (Häppchen passend zum Titel) sind wir mal bei ihren intellektuellen deutschen Großeltern in Baden-Württemberg und tafeln mit dem Silberbesteck der Boomer-Wohlstands-Generation, sitzen auf dem “Opasessel”. Dann wieder bei ihrem psychisch kranken Vater, der seine Kinder - Aki hat noch einen älteren Bruder, Kenta - nur selten sieht, sich von seiner kleinen Familie entfremdet hat. Und dann geht es wieder um die uralte japanische Matriarchin Yasuko und deren Tochter Keiko, die sich in Deutschland zurechtgefunden hat und doch nie ganz angekommen ist. Schließlich ist da natürlich Aki selbst, die zwischen den Kulturen aufwächst und sich dabei selbst finden muss. 

Es geht um die winzigen Details, die ein Leben ausmachen. Um alles, was wir so ansammeln - in unseren Behausungen und in unseren Köpfen. Und um das, was uns wieder genommen wird, wenn wir im Alter wieder zu einem vergangenheits- und dingelosen Wesen werden. Der Zeitgeist der Generation der Xennials, der sowohl ich als auch die Autorin angehören, wurde meiner Meinung nach perfekt eingefangen. 

“Onigiri” ist das Lieblingsgericht der Ich-Erzählerin, das die Mutter ihr und ihrem Bruder immer gemacht und auf einem alten, apfelförmigen Brett serviert hat. Es ist quasi das Leitmotiv dieses Romans, in dem es um das Erinnern geht. Die Demenz von Akis Mutter hat es ihr unmöglich gemacht, für sich oder andere zu sorgen und somit gibt es auch kein von ihrer Mutter zubereitetes Onigiri mehr. Und jeder, der mal jemanden hatte, der ein Gericht auf eine besondere Weise zubereitet hat und das nicht mehr kann, weiß, welcher Schmerz alleine in dieser Tatsache steckt - ein Essen, das ganz besonders schöne Emotionen auslöst, in der Zubereitung durch diesen einen speziellen Menschen für immer verloren zu haben.

Herzlichen Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar und die Zugaben!


Dienstag, 22. Juli 2025

"Die Geschichte des Klangs" von Ben Shattuck


Glück ist keine Geschichte

“Mein Großvater hat mal gesagt, dass Glück keine Geschichte ist. Darum gibt es über diese ersten Wochen nicht viel zu sagen.” 

Diese kraftvolle Aussage aus “Die Geschichte des Klangs” von Ben Shattuck hält uns die schmerzhafte, aber wichtige Erkenntnis vor Augen, dass Glück nicht literarisch ist und niemals sein kann. Nur der Verlust des Glücks ist erzählenswert, nur die Trauer um das Glück erschafft Kunst. Erfüllte Liebe ist nicht spannend für die Lesenden und deswegen hören die meisten positiv endenden, klassischen Lovestories auch dann auf, wenn die Liebenden sich bekommen haben. Nicht so bei David und Lionel, zwei Musikstudenten von der Ostküste der USA, die kurz vor dem ersten Weltkrieg - jung, schön und ungebunden - einander begegnen. David studiert Komposition und “sammelt” Lieder, David ist ein begabter Sänger und hat Synästhesie - er fühlt, riecht und schmeckt Farben. Sie werden ohne große Umschweife ein Paar. 

Lionel blickt im ersten Teil des kurzen, gerade mal 104 Seiten zählenden Romans als alter Mann in den USA der 1980er Jahre auf ihre Liebe zurück. Und diese Liebe ist eben nur unsterblich, weil sie keine Erfüllung in der Dauer erlebt hat. Sie ist nur 
solange “keine Geschichte”, so lange sie einen Sommer lang glücklich durch Maine reisen und Folksongs auf Wachswalzen aufnehmen. Sie lieben sich, essen Blaubeeren, bis sie blaue Zungen haben, sie schlafen unter freiem Himmel mit- und nebeneinander, sind einfach glücklich, bis das Leben sie kurz danach trennt und nie wieder zusammenführen wird. Nie wieder. Und dann ist es eben wieder der Verlust der Liebe, das Ende des Sommers und somit des Glücks, der eine Geschichte, der Literatur entstehen lässt.

Bei Amy ist es genau andersherum. Zu der jungen Frau, die im gleichen Amerika die Wachswalzen in ihrem neuen Haus mit Geschichte findet, war die Liebe gnädig. Sie hat ihren Henry, den Specht-Forscher, den attraktiven Ornithologen, bekommen, obwohl das Schicksal sie für kurze Zeit getrennt hat. Für sie gab es ein “danach”, ein Leben an der Seite des Mannes, den sie liebt. Aber ist dieses Leben trotz der ganzen Liebe auch ein erfülltes? Hat sie sich nicht selbst aufgegeben, um das Glück zu finden? 

Der Roman stellt die Frage, ob eine kurze große Liebe, auf die man mit Wehmut, Leidenschaft und Trauer zurückblicken kann, nicht mehr wert ist als alle Erfüllung. Und das macht Ben Shattuck wirklich großartig. Auf eine leise, eindringliche Art, die einen noch lange über diese Frage nachdenken lässt. 

Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren.

Herzlichen Dank an Hanser Literatur und vorablesen für das Rezensionsexemplar!


Freitag, 18. Juli 2025

Ein Gedicht an mein Buch, 18.7.2025


Überall Zeichen, ob in der großen Natur,
im Menschenwerk aus Stahl, im Äther
Eure Geschichte bin nicht ich
Sie gehört euch wie eure Seelen
Ich habe ihr nur meine Hand geliehen
meine Augen, meinen Kopf - das,
was man Verstand nennt

Morgen, übermorgen, eines Tages
wird sie leuchten im Blick derer
die sie zum Leben erwecken
mit ihrem Lächeln, ihren Tränen,
die Zwiesprache halten
mit den Worten

(Ein Gedicht an mein Buch, 18.7.2025)

🏳️‍🌈 

Mittwoch, 16. Juli 2025

"Die schlechte Gewohnheit" von Alana S. Portero


Stell dir vor, die erste Wesenheit, der du romantische Gefühle entgegenbringst, die du küssen und berühren möchtest, ist ein wunderschöner, frisch gestorbener junger Drogentoter, der vor deiner Haustür liegt. Du bist fünf Jahre alt, ein dicklicher träger Junge, in dem die Seele eines zarten Mädchens steckt. Du wächst bei einer fast armen, aber ansonsten sehr liebevollen Familie (der ältere Bruder ist dein Held und Halt) in einem Arbeiter(= Problem)viertel von Madrid auf, in dem Glanz und Gloria, die du heimlich vor dem Spiegel übst, so weit entfernt scheinen wie der Horizont. Du fühlst dich in der Gesellschaft von Frauen am wohlsten und stellst gleichzeitig fest, dass du auf Männer stehst. Du machst als Teenager erste sexuelle Erfahrungen mit einem ziemlich süßen Jungen, lernst die queere Welt ein bisschen besser kennen und eigentlich ist alles ganz nice, doch da ist etwas: Du bist kein Junge, kein Mann. Du bist eine Frau. Und außerdem ist da die Gesellschaft und die “reale” Welt um dich herum: mit ihren binären Vorstellungen, ihren limitierenden Glaubenssätzen, ihrer Engstirnigkeit und ihrer Gewaltbereitschaft. Wie kann man unter diesen Voraussetzungen zum Mensch werden, der man ist, wie kann man aus dem Käfig ausbrechen, der um einen herum gezimmert wurde?

Alana S. Portero hat einen autofiktionalen Roman über ihre eigene Herkunft und das finden ihrer Identität geschrieben. Wie viel davon “wahr” ist weiß wohl nur sie selbst. Wir Lesende wissen nach der Lektüre jedenfalls ein kleines bisschen besser, wie schwierig es ist für eine Seele, die sich mit dem Gefängnis aus Fleisch, in das sie bei der Geburt hineingezwängt wurde, nicht identifizieren kann, in einer binären Welt zurechtzukommen. Der Text geht sowohl ans Herz (und das extrem) als auch an die Nieren (Triggerwarnung: Gewalt gegen Transmenschen und Homophobie). Ich habe selten einen so authentischen, einfühlsamen Roman gelesen wie diesen hier. 

Auch bezüglich seiner poetischen Sprache ist dieser Roman einer, der in Erinnerung bleibt im Einheitsbrei. Die Ich-Erzählerin baut sich einen mythologisch-märchenhaften Überbau, den sie ihrer Umwelt, ihrem Viertel und den Menschen, die es bewohnen, überstülpt. Es gibt Aphroditen, Circen, Nymphen und vieles mehr. Sie alle helfen ihr, die Welt um sie herum erträglicher zu machen. Die Ich-Erzählerin nennt queere Menschen “Bewohner unseres Waldes” und ich musste fast weinen, als ich das gelesen habe, denn es hat mich mitten ins Herz getroffen.

Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit dafür, dieses Buch gelesen zu haben. Es hat mich einfach erfüllt und während der Lektüre war ich komplett bei der Ich-Erzählerin. Ich habe endlich mal in Ansätzen das empfunden, was Transpersonen empfinden müssen. Diese Zerrissenheit, dieses Zwischen-den-Stühlen-sein-und-nie-ganz-den-richtigen-Platz-finden. Eine Lektüre, mir der ihr eure Zeit zu 100% nicht verschwendet - Ehrenwort. Ganz, ganz toll! Aus dem Spanischen übersetzt von Christiane Quandt.