Wenn ich mal abschalten möchte und keine Lust auf anspruchsvollere Literatur habe, lese ich sehr gerne einen Krimi. Bei mir müssen es allerdings klassische "Whodunits" sein, also nicht allzu düster und blutig. Und ja, wenn ich einen etwas humorvolleren Whodunit lesen möchte, dann greife ich sehr gerne zu den Kluftinger-Krimis von Klüpfel und Kobr, mein "guilty pleasure" was das Lesen angeht. Dieses Mal hat Michael Kobr sowohl Kluftinger als auch seinen Autorenkollegen Volker Klüpfel unten im Allgäu links liegen lassen und hat sich schreibend in den Hohen Norden begeben, genauer gesagt auf die dänische Insel Bornholm. Sein erster Solo-Roman "Sonne über Gudhjem" spielt also dort, wo er wohl seit Jahren gerne selbst Urlaub macht. Kobr ist also gewissermaßen ortskundig, was beim Verfassen eines Regionalkrimis natürlich von Vorteil ist.
Lennart Ipsen, der 47-jährige Ermittler des Romans, ist zur Hälfte Däne und zur Hälfte Deutscher. Nach vielen internationalen Stationen u.a. bei Interpol, hat er sein Zuhause in Kopenhagen verlassen, um bei der Polizei in Rønne auf der Insel Bornholm, die er als Kind öfter besuchte, anzuheuern. Nach der Trennung von seiner Frau Andrea, die jetzt mit den beiden gemeinsamen Töchtern auf Rügen lebt, soll es ein Neuanfang für Lennart werden. Kaum angekommen und in Erwartung eines hyggeligen Daseins auf der an Schwerverbrechen armen Insel, steht aber auch schon der erste Mordfall ins Haus. Ein Schweinebauer wurde in seiner eigenen Räucherkammer ermordet aufgefunden.
Wir haben es hier mit einem ganz klassischen Regionalkrimi und Whodunit zu tun. Es gibt ziemlich viele Verdächtige, denn der Tote war nicht gerade ein Sympathieträger. Als LeserIn kann man bis zur Auflösung am Ende wunderbar miträtseln. Außerdem erfährt man viel über dänische Eigen- und Besonderheiten. Vor allem die Kulinarik des skandinavischen Landes kommt im Buch nicht zu kurz, zumal das Opfer des Verbrechens ein Lebensmittelproduzent war. Von Schinken über "Karl Johan" (dänisch für Steinpilze), Sanddorn, Lakritz und Honig sowie natürlich (geräucherter) Fisch reicht die breite Palette an in Dänemark beliebten Lebensmitteln, auf die im Roman eingegangen wird. Auch einem Sternerestaurant dürfen wir einen Besuch abstatten.
Wie schon bei Kluftinger nimmt das Privatleben des Kommissars einen gewissen Stellenwert in der Handlung ein. Anders als der schrullige Allgäuer ist Ipsen charakterlich aber eher Mainstream. Ein Workaholic natürlich, aber das haben ja viele Kommissare gemeinsam. Tatsächlich wird auch auf die Ermittler der klassischen und aktuellen Krimiliteratur eingegangen (S. 196f.). Ipsen tritt auch als Leser von Krimis auf, denn er kennt seine Dupin, Maigret & Co. Ansonsten sind die beiden Kolleginnen Tao und Britta sehr sympathisch, allenfalls Britta ist durch ihr alternatives Auftreten als polizeiliche Ermittlerin etwas ungewöhnlich.
"Sonne über Gudhjem" ist ein schöner, solider Regionalkrimi und natürlich perfekt als Lektüre im Dänemark-Urlaub.
PS: Das doppelte Lesebändchen in den Farben der dänischen Flagge ist eine tolle Idee (und sehr praktisch).