"Die letzte Nacht der Menschheit war ein Kollektivgeschehen, und je mehr jeder sich als Einzelner glaubte, desto mehr geriet er zum Arm des Absoluten."
Der Erste Weltkrieg wird literarisch momentan stark aufgearbeitet. Auch ich stolpere in letzter Zeit immer wieder über Bücher, die sich literarisch mit den Jahren 1914-1918 befassen. "Die Inkommensurablen" von Raphaela Edelbauer beschreibt den vorletzten Tag der "Julikrise", in der der Ausbruch des Krieges virulent und nur noch eine Frage der Zeit war. Es ist der 30. Juli 1914 und es herrschen im Wien der Kaiserzeit Endzeit- und Aufbruchsstimmung gleichermaßen. Man wartet auf den Ablauf eines Ultimatums der Großmächte, mit dem der Krieg offiziell beginnen wird. Die drei jungen Menschen Hans, ein Knecht aus Tirol, der in Wien eine Psychoanalyse machen möchte, Klara, eine aus armen Verhältnissen stammende Mathematikstudentin kurz vor der Promotion und Adam, Sohn einer adeligen Militärfamilie, der nicht in den Krieg will, aber muss, treffen aufeinander. Ein Totentanz der Lebendigen, denn keiner weiß, ob es ein Morgen geben wird.
Zunächst das für mich Negative: Die Wortwahl dieses beeindruckenden Romans wirkt oftmaks artifiziell. Während es am Anfang noch einigermaßen kohärent zugeht, wird die Handlung mit der Zeit immer esoterischer, unbegreiflicher. Es gibt Szenen, die stark an die Nieren gingen (Klaras Kindheit in Armut, CN: Tod von Kindern) und sowas triggert mich immer etwas zu sehr, als dass ich es als literarisch starke Szene abstrahieren könnte. Das Konstrukt von den Inkommensurablen war für mich schwer fassbar. Dass ein Teil von Claras Rigorosums-Vortrag tatsächlich als Text existiert und Teil des Romans ist, hat mich einigermaßen irritiert. Obwohl ich meinen Hut vor der Intelligenz der Autorin ziehe, macht dies auf mich einen verkopften und elitären Eindruck. So, als wollte die Autorin, dass nur die intelligentesten LeserInnen Zugang zu ihrem Roman finden.
Nun das Positive:
Ja, ich habe sie gespürt, diese rauschhafte, traumtänzerische, enigmatische Atmosphäre, das Aufbäumen des Individuums im Angesicht des Unvermeidlichen. Der Krieg als großer Gleichmacher, der Standesgrenzen aufweicht und Geschlechternormen ins Lächerliche zieht und doch aufs Äußerste manifestiert - die Männer an die Front, die Frauen sollen es zu Hause richten.
Während ich am Anfang noch die Augenbraue hochgezogen habe über die Idee der "Traum-Cluster", so habe ich mich doch immer mehr mitreißen lassen von der Symbolik, die dem Thema innewohnt - "Alles drängt zum Luster", der Kronleuchter als Symbol allen Begehrens…Psychoanalyse, Traumnovelle, Massenhysterie - die Referenzen und Bezüge sind mannigfaltig. Wer James Joyce "Ulysses" gelesen hat weiß, wie intensiv und intelligent Romane sein können, deren Handlung nur einen einzigen Tag umspannt. Ich mag solche Romane: alle Metaphorik und Symbolik verdichtet auf eine kurze Zeitspanne, Leben im Zeitraffer.
"Die Inkommensurablen" ist ein sehr intelligentes Werk und ich habe das Gefühl, man wird den Roman auf einigen Buchpreis-Listen wiederfinden. Aber er ist auch elitär und stellenweise schwer fassbar. Keine leichte Kost, bestimmt nicht.
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