Freitag, 28. April 2023

"Der treue Spion" (Gryszinski 3) von Uta Seeburg


"(K)eine große Sache" - Die Affaire Fouqué

Wer bereits die ersten beiden Bände um Major Wilhelm Freiherr von Gryszinski gelesen hat, wird wie ich sicherlich schon gespannt auf diesen dritten Band gewartet haben. Tatsächlich ist seit dem (vorab) Erscheinen von Band 2 ("Das wahre Motiv") nur ein knappes Jahr vergangen. Diese Tatsache lässt mich staunend und der Autorin Uta Seeburg absoluten Respekt zollend zurück, ist doch "Der treue Spion" sowohl was das Erzählerische als auch die Recherchearbeit und historische Authentizität angeht wieder von allerhöchster Qualität.

Diesmal begleiten wir den preußischen Ermittler in München bei einer äußerst delikaten politischen Mission. Ein französischer Diplomat namens Henri Fouqué ist über Nacht spurlos verschwunden, sein letzter Aufenthaltsort war das Münchner Luxushotel "Vier Jahreszeiten". Dort logiert auch ein dubioses russisches Paar, das sich äußerst verschwenderisch verhält und auffällig agiert. Natürlich lässt auch ein Mord im Dunstkreis des Verschwindens Fouqués nicht lange auf sich warten. Im Zuge dessen begleiten wir Gryszinski und seine Gattin diesmal sogar bis nach Paris (und später sogar noch weiter). Während wir im letzten Band mit den Gryszinskis tief in die Kunst- und Kulturszene Schwabings abgetaucht sind, ziehen wir jetzt mit ihnen u.a. durch die Pariser Literaten- und Künstlercafés. Dabei treffen der "Feierabend-Bohemien" und seine schreibende Ehefrau auf Größen der französischen Literatur wie Émile Zola und Marcel Proust. Ich finde es kann - wenn es wie hier gut gemacht ist - immer eine besondere Dynamik entstehen, wenn fiktive Personen auf historische Persönlichkeiten treffen. Hier hat die Autorin es sich nicht nehmen lassen, dass Marcel Proust sich von Gryszinski zu nichts weniger als seinem literarischen Lebenswerk inspirieren lässt. Das ist weder wahr noch bringt es den Plot in irgendeiner Weise weiter, aber es entlockt manchen Literaturkundigen unter den Lesenden sicher ein kleines Schmunzeln.

Überhaupt Literatur und literarisches Schreiben: Man merkt einfach, dass Uta Seeburg promovierte Germanistin und mit der Literatur des späten 19. Jahrhunderts bestens vertraut ist. Ihre Prosa wirkt nicht wie eine Heutige, sondern sie schreibt wie ein/e Autor/in des literarischen Realismus. Mir fallen Flaubert, Fontane oder auch der junge Thomas Mann ein, mit denen ich ihre Prosa vergleichen möchte. Man merkt einfach nicht, dass hier eine Autorin des 21. Jahrhunderts auf 1896/1916 blickt und das spricht absolut für Uta Seeburg denke ich.

Apropos 1916. Ja, diesmal haben wir es nicht nur mit einer, sondern mit zwei erzählten Zeitebenen zu tun - sehr spannend, wie ich finde. Einmal eben die Geschehnisse um den ermittelnden Gryszinski im Jahr 1896 und dann wird abwechselnd parallel aus der Perspektive seines Sohnes Fritz erzählt. Dieser ist im Jahr 1916 an der Front in Verdun, mitten im Ersten Weltkrieg, als Meldegänger rekrutiert. Von dort aus wird er als Spion auf eine abenteuerliche Reise quer durch Europa geschickt, wo er nichts weniger als die Affaire Fouqué zwanzig Jahre nach ihrem Geschehen nochmal aufarbeiten muss. Dabei gerät er selbst in große Gefahr…

Eigentlich sind Spionageromane nicht so wirklich mein Ding. Das ganze Bespitzeln, Misstrauen und Versteckspiel muss ich eigentlich nicht haben. Aber: Uta Seeburg hat mich vom Gegenteil überzeugt. Sie kann halt einfach erzählen. Und mit Gryszinski hat sie einen so sympathischen Protagonisten erschaffen, dass wir uns einfach eine immer neue "Topfrunde" mit ihm wünschen. Und Frau Brunner, die wie immer aus dem Nichts auftaucht, mahnend guckt und sich insgeheim freut, dass ihre Speisen so gut ankommen.

Herzlichen Dank an Harper Collins Germany und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!



Donnerstag, 13. April 2023

"Der Kuss des Kaisers" von Christine Neumeyer


Gerade ist ja die digitale Ausstellung "Klimts Kuss" in aller Munde. Wer sich auch auf literarischer Ebene mit dem Künstler und seinem wohl berühmtesten Werk befassen möchte, dem sei Christine Neumeyers historischer Krimi "Der Kuss des Kaisers" empfohlen. Der (historisch verbürgte) Ankauf des Bildes durch die österreichische k. u. k. Monarchie im Jahr 1908 bildet die Rahmenhandlung und den Aufhänger für die fiktive Krimihandlung. Ein Schauplatz des Romans und "Tatort" des Verbrechens ist das Wiener Schloss Belvedere, in dessen Kunstgalerie das Bild seit dem Ankauf und bis heute hängt. Man erfährt bei der Lektüre viel über die Provenienz des Bildes und die historischen Umstände des Ankaufs. Der "alte" Kaiser Franz Joseph war damals noch an der Macht und im Gegensatz zu seinem designierten Nachfolger Franz Ferdinand war er modernen Künstlern wie Klimt durchaus aufgeschlossen, daher auch der Titel des Romans. 

Was mir sehr gefallen hat an diesem Roman ist der Spannungsaufbau im ersten Drittel. Der Mord passiert nicht etwa ganz am Anfang, sondern die Geschichte baut sich langsam auf und wir lernen bereits das Opfer relativ gut kennen, bevor wir wissen um wen es sich handelt. Es schwant einem bei der Lektüre der ersten Kapitel dass etwas Unheilvolles in der Luft liegt, so wie im Herbst 1908 wo die Handlung spielt, der Erste Weltkrieg bereits seine Schatten auf das allmählich aussterbende Kaiserreich wirft. Auch wenn man gar nicht wissen würde, dass es sich um einen Krimi handelt, würde man denken: hier passiert gleich was.

Neumeyers sympathische Ermittlerfigur Pospischil hat mir schon im ersten Band der Reihe ("Der Offizier der Kaiserin") ausnehmend gut gefallen. Seit den Geschehnissen um Kaiserin Sisi im Marchfeld sind mittlerweile 10 Jahre ins Land gezogen und der "geheime Kriminalermittler in Angelegenheiten zum Schutz des Hauses Habsburg und der Monarchie" steht nunmehr kurz vor der Pensionierung. Dem gutmütigen Kriminaler steht in diesem Band auch ein Hund zur Seite, was für ein paar wenige warme Momente in der sehr düsteren Handlung sorgt. Auch durch Pospischils liebevolle Beziehung zu seiner Schwester Gerti blitzt etwas Menschlichkeit durch. Der Schlagabtausch der beiden ist höchst amüsant und wirkt zeitgenössisch authentisch, auch wenn die Enge der Beziehung der beiden partnerlosen Geschwister im fortgeschrittenen Alter für heutige Augen doch etwas merkwürdig anmutet. Neben Pospischil lernen wir auch seinen jungen Kollegen Frisch besser kennen. Ich könnte mir aufgrund des Epilogs gut vorstellen, dass wir in den nächsten Bänden der Reihe - sollte es sie denn hoffentlich geben - Frisch an Pospischils Stelle sehen. Allerdings hoffe ich dass Pospischil "Sidekick" bleibt und aus der Rente heraus Frisch assistierend weiter ermittelt - so ganz möchte ich mich noch nicht von ihm trennen.

"Der Kuss des Kaisers" zeichnet ein perfektes Portrait des morbiden Wien und kommt alles in allem recht düster, blutig, abgründig und fast nihilistisch daher. Die Härte und Flüchtigkeit des Daseins wird durch die herbstliche Atmosphäre einmal mehr betont. Sie macht auch vor den Mächtigen auf der vermeintlichen Sonnenseite des Lebens nicht halt (Trigger-Thema: Totgeburt). Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Herzogin Sophie, kommen als handelnde Figuren im Roman vor. Weil man weiß dass die beiden 1914 beim Attentat von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslösen wird, umkommen werden, gibt das dem Ganzen einen noch unheilvolleren Anstrich.

Während der erste Band der Reihe rund um Kaiserin Elisabeth eher in die Richtung historischer "cosy Krimi" tendiert, hat mich "Der Kuss des Kaisers" mit seiner deprimierenden Grundstimmung und plakativen Blutrünstigkeit doch etwas überrumpelt. Ich hatte aufgrund des Vorgängers einfach etwas anderes erwartet. Nichtsdestotrotz ist "Der Kuss des Kaisers" ein sehr gut geschriebener und exzellent recherchierter historischer Krimi mit einem spannenden Plot. Jeder, der das Wien des Fin de Siècle um 1900 feiert, wird auch diesen Roman sehr mögen.

Herzlichen Dank an die Agentur Buch Contact und den Wiener Picus Verlag sowie natürlich Christine Neumeyer für das Rezensionsexemplar.



Mittwoch, 5. April 2023

"Das wahre Motiv" von Uta Seeburg

Schwabylonische Morde

Major Wilhelm Freiherr von Gryszinski ermittelt wieder im München des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Nachdem wir den zurückhaltenden Sympathieträger bereits in "Der falsche Preuße" kennenlernen durften, geht es nun im zweiten Band der historischen Krimireihe um das "wahre Motiv". Diesmal taucht der im neuen bayerischen Umfeld zunächst etwas zugeknöpft wirkende Ermittler in die Münchner Kunstszene um 1900 ein. Es begegnen unserer fiktiven Hauptfigur illustre reale Persönlichkeiten der Kulturgeschichte - vom Malerfürsten Franz von Lenbach, über SchriftstellerInnen wie Franziska zu Reventlow, Frank Wedekind und Oskar Panizza, um nur einige zu nennen, bis hin zum Prinzregenten Luitpold höchstselbst. Geschickt verwebt die Autorin die fiktive Kriminalhandlung mit dem Mikrokosmos "Schwabylon", wie das Künstlerviertel um 1900 scherzhaft und doch ehrfürchtig genannt wurde. Obwohl sich der Schwerpunkt der Handlung auf Schwabing konzentriert, sind wir zusammen mit Gryszinski an vielen Orten der Stadt unterwegs. Der topographische "Schnitzeljagdcharakter" des Romans hat mir bereits im ersten Band sehr gut gefallen. Ein wilder Ritt durch München bei der ein doch recht zahmer aber hochsympathischer adliger Ermittler unfassbare artifizielle Morde aufzuklären versucht. Wieder lernt man ganz nebenbei viel über damalige Gepflogenheiten. Das Buch ist gespickt mit kulturgeschichtlichem Faktenwissen. Bewundernswert- ich ziehe meinen Hut vor der Autorin, die außerdem noch überaus sprachgewandt ist. Sie kann den Bayerischen Sprachduktus genauso authentisch wiedergeben wie den naserümpfenden Dünkel der preußischen Adelswelt imitieren. Kunst kommt halt von Können, wie Karl Valentin so schön sagte.

Alles in allem macht das Buch Lust auf Band 3 der Reihe.

Danke an Harper Collins und netgalley.de für das E-Rezensionsexemplar!