Moderne Mütter in Ausnahmezuständen
Seien wir doch mal ehrlich: Wir Mütter stehen am Ende der gesellschaftlichen Nahrungskette. Was ziemlich paradox ist, denn Mütter sind die Basis der Gesellschaft, wenn sie ausfallen, gerät auch alles andere ins Wanken. Selbiges gilt leider auch für “arbeitende Mütter”, also solche, die neben dem (unbezahlten) Beruf des Erziehens und Betreuens der eigenen Kinder noch einem “richtigen” Beruf nachgehen, also einem, der Geld einbringt. Sie leisten schier Übermenschliches und werden doch oft in ihren beiden Lebensumfeldern als unzureichend wahrgenommen. Von der Arbeit müssen sie oft verschwinden, weil das Kind krank ist, sind nicht Teil der wichtigen Absprachen, wenn sie fehlen und zu Hause in den Krabbelgruppen sagen ihnen die “Besserwissermütter” wie wichtig es ist, rund um die Uhr für sein Kind da zu sein. Und der Haushalt will auch noch gemacht werden, Zeit mit dem Partner/der Partnerin? Oft nicht vorhanden und laut Instamoms und Frauenzeitschriften doch soooo essenziell für eine gesunde Beziehung. Vor allem aber zerbrechen Mütter oft an den hohen Erwartungen, die sie an sich selbst richten.
In “Dino Moms” geht es, wie der Titel schon nahelegt, um Mütter und zwar die Mütter unserer Zeit. Die neun Geschichten, die hier in einem Buch zusammengefasst sind, handeln von verschiedenen jungen Müttern im Großraum London in unterschiedlichen Stadien ihres Mutterseins: Erstschwangere, Mütter mit einem oder mehreren Kindern und Schwangere, die schon mehrere Schwangerschaften und Fehlgeburten (Triggerwarnung!) hinter sich haben. Alle Geschichten spielen ungefähr zur Zeit der Corona-Pandemie, in einer Geschichte (“Flatten the curve”) geht es explizit um die Zeit des Lockdowns im Jahr 2020. Mit dieser Geschichte konnte ich mich am meisten identifizieren, einfach weil wir alle im selben Boot saßen und die gleichen Probleme hatten. Es war eine surreale, besondere Zeit und ich freue mich, dass ich sie in den letzten Jahren öfter literarisch verarbeitet finde.
Die Geschichten ähneln sich alle, aber nicht nur aufgrund des übergeordneten Themas Mutterschaft und “female rage”. Die meisten hier beschriebenen Frauen stehen an einem Wendepunkt ihres Lebens oder sind mit außergewöhnlichen Ereignissen konfrontiert. Wie die Horrorfilmregisseurin, der aufgrund ihrer eigenen Schwangerschaft ihre Muse abhanden kommt (sie wechselt zu einem männlichen Regisseur). Oder die Frau, deren Exfreund und Vater ihres Kindes - er hat sie verlassen als die Tochter 4 Monate alt war - nun eine andere heiratet und die “Neue” möchte nun die Tochter des Paares als Brautjungfer haben.
In der ersten Geschichte “Leseley in Therapie”, die ich für eine der stärksten halte, geht es um die eingangs beschriebene Zerrissenheit der Mütter angesichts des gesellschaftlichen Diktats, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Lesley kehrt nach der Elternzeit als Game-Designerin zurück in den Job und muss feststellen, dass sie dort nicht mehr gebraucht wird, während ihr Baby jedes Mal weint, wenn es in die Betreuungseinrichtung gebracht wird. Lesley trifft beim Wiedereinstiegsprogramm der Firma auf ihre ehemals befreundete Arbeitskollegin Irina, die sowohl im Job als auch als Mutter brilliert. Das zieht Selbstzweifel nach sich, wie sie jede “Working Mom" bestens kennen dürfte.
Da ist das Paar, das in einer anderen Story nach den beiden Geburten sein Sexleben mit einem “Homevideo” wieder aufpeppen will (obwohl sie ohnehin einmal die Woche Sex haben…), vergleichsweise uninteressant. Bei einigen Stories hat mir die Pointe gefehlt bzw. ich habe sie nicht verstanden. Während ich mich mit manchen Geschichten und den darin geschilderten Problemfeldern identifizieren konnte, wirkten andere fast schon surreal und grotesk auf mich. Vor allem mit der letzten, titelgebenden Geschichte “Dino Moms” konnte ich überhaupt nichts anfangen. Mütter und ihre Töchter auf einer Dino Farm in einer “Scripted-Reality-Fernsehshow” aber die Dinos sind echt - häh?
Es gab in manchen Stories Passagen, die fand ich richtig gut, aber meist sind die Geschichten an mir vorbeigezogen, ohne einen Aha-Moment in meinem Kopf zu hinterlassen. Natürlich kann bei neun Kurzgeschichten nicht jede gleich gut sein. Dafür sind sie dann in ihrer Zusammensetzung zu heterogen. Ich fand es schade, dass es keine zusammenhängenden Geschichten waren, also dass zum Beispiel am Ende alle Mütter, die in den einzelnen Geschichten vorkommen, aufeinandertreffen.
Fazit: Alles in allem eine gute Short-Story-Collection, der ein roter Faden abseits des übergeordneten Themas gut zu Gesicht gestanden hätte. Warum das Buch als “Roman” bezeichnet wird, erschließt sich mir nicht. Aus dem Englischen übersetzt von Gesine Schröder.
Herzlichen Dank an Nagel und Kimche / Harper Collins Germany für das Rezensionsexemplar!