Zu wenig "Book", zuviel "Boyfriend"
Von einem systemtheoretischen Standpunkt aus dekonstruiert dieses hoch interessante literarische Werk Geschlechterstereotype in direktem Zusammenhang mit saisonalen Bräuchen und sozial-medialer Bibliophilie…O.k. Spaß - “A Bookboyfriend for Christmas” ist einfach nur oberflächlicher Romance-Trash mit einer hübschen Verpackung, die Buchblogger*innen und Büchernerds ansprechen soll. Mit Büchern oder gar Literatur hat dieser Weihnachtsroman so viel zu tun wie der von mir hoch geschätzte Marcel Reich-Ranicki mit Dark Romance.
Die Story ist ziemlich schnell zusammengefasst: Eine 20-jährige Booktokkerin namens Mia, die in New York als Rechtsanwaltsgehilfin lebt und abends Videos über Bookboyfriends dreht, gewinnt bei einem Gewinnspiel auf ihrer Lieblings-App, dass sie über Weihnachten in einer kleinen Buchhandlung eingesperrt wird und dort für drei Tage leben darf. Als es dann soweit ist, sucht ein Schneesturm New York heim und die Inhaberin der Buchhandlung schafft es nicht in die City. Also schickt sie ihren Bruder Nick, der bereits mit Anfang 30 Oberarzt in einem New Yorker Krankenhaus ist, Mia willkommen zu heißen.
Das Buch trieft vor heteronormativer Klischeehaftigkeit - der gutaussehende Teflon-Arzt mit Literatur-Abneigung und schlimmer Kindheit (er musste so schnell groß werden) und einer zerrütteten Beziehungsgeschichte (Spoiler: ihm wurde massiv das Herz gebrochen) trifft auf einsame, aber sexy Aschenputtel-Frau, die ihre Eltern bei einem Unfall verloren hat, Bücher liebt und in einem schrecklichen Brotjob mit Horror-Chef gefangen ist.
Dass Amy in einer Buchhandlung eingeschlossen ist - ihr größter Lebenstraum - ist in Nullkommanix vergessen, als sofort der sexy “Grinch” auftaucht, der sehr schnell ziemlich ungrinchy wird, als er merkt, dass Mia unter ihren Winterklamotten doch echt gutaussehend ist - ungewöhnlich für einen “Büchernerd” (*augenroll*), wie er findet. Der “Enemies to Lovers”-Trope wird extrem schnell abgehandelt, der Spannungsbogen ist flach bzw. kaum vorhanden. Die Charaktere haben so viel Tiefe wie ein Babybecken im Städtischen Schwimmbad. Außerdem hätte ich mir von einem Buch über eine Booktokkerin, das in einer Buchhandlung spielt, ein liebevoll ausgearbeitetes Setting und eine buchige Atmosphäre gewünscht. Und zwar an erster Stelle! Leute, sie ist in einer Buchhandlung über Weihnachten und es wird kaum beschrieben, wie es darin genau aussieht, welche Bücher im Sortiment sind, etc. Spoiler: Selbst das Krankenhaus, in dem die Handlung fast länger stattfindet als im Buchlanden oder die Wohnungen von Mia und Nick, werden ausführlicher beschrieben. Bei dem Trope “Bookboyfriend” wird nicht mal der “Urvater” aller Bookboyfriends, Mr. Darcy, erwähnt. Also nicht mal das? Gibt es in dieser Buchhandlung mitten in New York City etwa keine Ausgabe von “Stolz und Vorurteil”? Oder irgend ein anderes bekanntes Buch bzw. einen Klassiker mit einem schnieken Protagonisten? Auch der Graf von Monte Christo würde einen guten Booklover abgeben! Querverweise? Intertextualität? Hallo? Verstecktes Potenzial. Aber Nick ist auch nicht wirklich ein Mr. Darcy oder Edmond Dantès, sondern ziemlich leicht durchschaubar und seine “Mauer” stürzt schneller ein, als ich Bookboyfriend sagen kann. Von der Protagonistin Mia habe ich mir nur gemerkt, dass sie es offenbar besonders gern mag, wenn Männer sie “auf ihre Hüften nehmen” und sie dann irgendwo hintragen, bevorzugt ein Schlafzimmer.
Warum habe ich also dieses Buch überhaupt gelesen, wenn ich es wie ein richtig übler Büchergrinch verreiße? Es wurde mir vorgeschlagen, als ich Weihnachtsbücher im Internet recherchiert habe. Ich muss zugeben, das Cover hat es mir ein wenig angetan. Aber der Kaufgrund war die Tatsache, dass es bei einer großen Buchhandelskette eine Alters-Leseempfehlung gab, die ein “Endalter” hatte - und da habe ich mich provoziert gefühlt. Ich bin 42 und das Buch wurde für 18-40-jährige Lesende empfohlen. 18 mag ja aufgrund der Spice-Szenen (gähn!) berechtigt sein, aber darf ich mit 40 etwa keine schlechten Bücher mehr lesen? Fakt ist: Ich sollte es echt nicht mehr tun - ihr wisst ja, verlorene Zeit und so.
Die deutsche Autorin dieses Romans, die unter Pseudonym schreibt, kommt wirklich sympathisch rüber und ich will sie auch nicht in die Pfanne hauen. Aber dies ist eindeutig ein Fall von: Der Inhalt hält nicht, was die Verpackung verspricht. Bei Büchern ist das leider kein Fall für den Verbraucherschutz, aber dafür gibt es ja uns Rezensent*innen, die euch hoffentlich vor Fehlgriffen ins Bücherregal bewahren. In djiesem Sinne: Lest lieber ein weiteres Mal “Stolz und Vorurteil” und liebe Grüße an Mr. Darcy, den einzig wahren “Bookboyfriend”.
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