Donnerstag, 7. August 2025

"Öffnet sich der Himmel" von Seán Hewitt


Malerischer Coming-of-age-Roman, den man nie mehr vergisst

Wenn man richtig verliebt ist, mit ganzem Herzen und ganzer Seele, dann gibt es wohl kaum eine schlimmere Erkenntnis, einen größeren Schlag in das rosarote Brille tragende Gesicht, als den Satz: “Er/Sie/They steht einfach nicht auf dich.” Ich bin sicher, die allermeisten von uns haben ihn schon als perfide, vernichtende Stimme der Vernuft im sich grundlose Hoffnungen machenden, verknallten Hinterkopf gehört. Fast noch schlimmer ist es, wenn man einseitige, unglückliche Verliebtheit bei anderen beobachtet und zusehen muss, wie sie in ihr eigenes Elend rennen. Wenn sich diese einseitige Liebe in der Literatur zuträgt, dann befinden wir uns in der Rolle des Voyeurs, aber auch des verschämten Freundes - denn unglückliche Verliebtheit hat auch etwas schamvolles, unangenehmes an sich.

James, der sechzehnjährige Protagonist von “Öffnet sich der Himmel”, ist so ein unglücklich verliebtes Wesen, das man einfach nur in den Arm nehmen und vor der Welt beschützen möchte. Wir als Lesende lieben mit ihm den schönen, ein Jahr älteren Luke, der wegen seiner schwierigen Familienverhältnisse eine Zeit lang in James’ irischem Dorf Thornmere, bei dessen Onkel und Tante lebt. Wir interpretieren mit James die sanften Zeichen, die auf eine Gegenseitigkeit der Gefühle hindeuten könnte. Wir hoffen, wo es keine Hoffnung gibt, denn wir wissen von Anfang an: Luke wird James nicht zurücklieben und James wird ihm trotzdem ein Leben lang hinterhertrauern.

Schon vom ersten Satz an, hat mich dieses Buch in seinen Bann gezogen. Die Geschichte, die sich hier vor uns auffächert, ist auf die schönstmögliche Art und Weise erzählt worden, wie man Geschichten erzählen kann: blumig, bildreich, sanft, melancholisch, einfühlsam und gelegentlich sogar witzig. Seán Hewitt ist eigentlich Dichter und diese seine genuine Kunstform merkt man seinem ersten Roman auch an: hier wird im wahrsten Sinne des Wortes mit Worten gemalt. 

Dieser Roman hat mich wirklich sehr berührt und gefesselt und deshalb führt das, was ich jetzt sage, auch zu keinerlei Punktabzug und soll nicht als Kritik betrachtet werden. Aber ein Teil von mir möchte mehr wissen. Die Andeutungen, die James als Erwachsener aus der Retrospektive macht, lassen viele Fragen offen. Was ist aus James’ Eltern und seinem Bruder Eddie sowie dessen Krankheit geworden? Wie hat er seinen Mann kennengelernt, was war er für ein Typ und ist die Beziehung zu ihm wirklich wegen Luke auseinandergegangen? Tell me more! Und natürlich die brennendste Frage von allen: Hatten er und Luke danach keinen Kontakt mehr? Hat er von seinem Onkel und seiner Tante keine Infos über ihn erhalten können? Irgendwie macht es aber auch Sinn, dass dieser wundervolle Roman seine Lesenden in einem Zustand der Ungewissheit zurücklässt und sich so von ihnen verabschiedet wie Luke in der Morgendämmerung von James an der Türschwelle. Das Verlangen bleibt und wird niemals vergehen. 

Übersetzt aus dem Englischen von Stephan Kleiner.

Herzlichen Dank an Suhrkamp und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!

Sonntag, 3. August 2025

"Liebesheirat" von Monica Ali


“Liebesheirat”, ein Roman der britischen Autorin Monica Ali, klang so gut. Es sollte um eine interkulturelle Ehe in London gehen. Nämlich um die Ehe von Yasmin und Joe. Die indischstämmige Britin und der Engländer sind beide Ärzte, Ende 20 (oder Anfang 30 hab ich nicht mehr so genau auf dem Schirm) und lieben sich. Sie sind nicht das Problem, sondern die unterschiedlichen Ansichten der beiden Familien. Die Mutter von Joe, mit der er zusammenlebt, ist irgendwie Künstlerin, Uni-Dozentin und Feministin und hält dementsprechend natürlich nichts von Frauen, die sich einem Mann “unterordnen”. Das macht Yasmin auch nicht, aber irgendwie ihre Mutter, die Hausfrau ist und ihr Leben für die Familie “geopfert” hat. Naja, sie treffen dann zum ersten Mal aufeinander und statt eines Feuerwerks an Handlungselementen und brillanter Unterhaltung ob dieser skurrilen Situation, habe ich nur eins gefühlt: gähnende Langeweile. Es wird jedes kleinste Details lang, breit und ausführlich vor uns aufgefächert und ich habe nach 105 Seiten (erstmal) beschlossen, dass ich mir die ganzen 591 Seiten nicht geben will. 

Ich habe eigentlich sowas erwartet wie den Ben-Stiller-Film “Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich”, nur halt intellektueller und weniger Slapstick. Aber dass das so lame wird, war echt schade. Von den Charakteren fand ich einzig den Bruder, dessen Namen ich nicht mehr weiß, einigermaßen spannend. Weil er eben mit Mitte 20 noch zu Hause wohnt und nicht den beruflichen Ehrgeiz seines Vaters und seiner Schwester an den Tag legt. Er ist nicht perfekt und deswegen mag ich ihn. Vielleicht lese ich irgendwann nochmal weiter, um zu wissen, wie es mit ihm weitergeht. Yasmin und Jo interessieren mich leider herzlich wenig.

Übersetzt aus dem Englischen von Dorothee Merkel.


Mittwoch, 30. Juli 2025

Schreiben ist mühelos. Ein paar Gedanken zum Schreibprozess


Ich habe bei jemandem auf Instagram hier sinngemäß gelesen: Ich habe mir solche Mühe gegeben mit der Rezension und dann liken die Leute nur, weil ich ein ausgefallenes Bild dazu gepostet habe. Aufgrunddessen habe ich mich gefragt, ob ich mir jemals “Mühe” gegeben habe mit einer Rezension. Klar habe ich vielleicht schon 1-2 Sekunden länger über eine Formulierung nachgedacht oder sie im Nachhinein wieder gelöscht - aber Mühe gegeben? Nein. Ich schreibe es einfach so, wie es mir durch den Kopf geht. Gerade weil es mich keine Anstrengung kostet, macht mir das Rezensieren ja solchen Spaß. Ich würde es nicht machen, wenn es anstrengend wäre.

Der Gedanke hat mich weitergeführt: Hat mich das Schreiben meines Romans, also das literarische, “Mühe” gekostet? Man stellt sich immer Schriftsteller vor, die mit Disziplin und Arbeitsethos an ihre Texte gehen und so zu Erfolg kommen. Schreiben ist Arbeit, so der Tenor. Aber für mich? Zu keinem einzigen Zeitpunkt. Im Gegenteil: Die Worte sind durch mich durchgeflossen und ich habe mich oft gefühlt wie ein Medium, das meinem Ich-Erzähler und Protagonisten eine Stimme verleiht und seine Worte, die er mir durchgibt, zu Papier bringt. Als würde ich einen intellektuellen Download empfangen - einen Download vom Universum. 

Bis zu meinem Roman war ich nicht wirklich esoterisch veranlagt. So am Rande habe ich mich schon ein bisschen für Naturmystik, Wicca, etc. interessiert. Aber wirklich nur oberflächlich und wenn ich gerade den Edelsteinen und dem Räucherwerk auf den von mir frequentierten Mittelaltermärkten nicht widerstehen konnte. Mittlerweile beschäftige ich mich intensiver mit Meditation, dem “Universum”, früheren Leben und lerne das Kartenlegen - Tarot. Verrückt? Vielleicht, aber die Erfahrung dieses intensiven Schreibprozesses, der mich unglaublich erfüllt hat, hat mich für diese Themen empfänglich gemacht. Mich offen gemacht dafür, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als unsere Schulweisheit sich träumen lässt, wie es in meinem liebsten literarischen Werk heißt.

Ich habe einfach keine andere “rationale” Erklärung für diese Mühelosigkeit des Schreibens gefunden und Antworten dafür gesucht. Warum funktioniert das Schreiben wie geschnitten Brot? “Vor allem, WIE du das geschrieben hast", meinte einer meiner Testleser, fände er bewundernswert. Ich selbst ja auch und so richtig kann ich es nicht erklären, außer, dass es vielleicht nicht ganz von meinem Gehirn allein kommt. So empfinde ich es zumindest. Und nein: KI war zu keinem Zeitpunkt im Spiel, wenn man mal von Google-Suchen absieht. 

Übrigens: Nicht nur das Schreiben sollte meiner Meinung nach im besten Falle mühelos passieren, sondern auch das Lesen. Wenn Lektüren anstrengend werden, dann breche ich sie ab. Es sei denn, es handelt sich um ein Rezensionsexemplar und da bin ich auch sehr wählerisch und vorsichtig geworden mittlerweile. Prüfe im Vorfeld genauer, ob es auch wirklich etwas für mich ist.

Also: Ich hoffe, es hat euch keine Mühe gemacht, diesen spontan zusammengezimmerten Text zu lesen und das trifft auch auf alle anderen zu, die aus meiner Feder geflossen sind und noch fließen werden. Eure Vicky


Donnerstag, 24. Juli 2025

"Onigiri" von Yuko Kuhn


Das apfelförmige Holzbrett und der “Opasessel”

Japan, seine Kultur und seine Menschen verbinde ich immer mit einer gewissen “no nonsense”-Einstellung. So nach dem Motto: “Don't make a fuss. It's only life and eventually - it will pass…” Also bloß kein Drama machen angesichts dem unvermeidlichen Spiel und Zyklus des Lebens. Gute Miene und sich keine Blöße geben, ein freundliches Lächeln aufsetzen - Augen zu und durch. Und ich muss sagen, der Roman “Onigiri” von Yuko Kuhn hat mir auch genau diese “vernünftige Lebenseinstellung”, die ich mit Japaner*innen assoziiere, gespiegelt. 

Yuko Kuhn hat einen Roman geschrieben, von dem ich mir vorstellen könnte, dass er autofiktional ist. Ihre Lebensgeschichte deckt sich in vielen Punkten mit der der Protagonistin Aki: Deutsch-Japanerin,1983 in München geboren und aufgewachsen, Studium in Passau und Südfrankreich, etc. Aber ich kann verstehen, dass sie das Ganze in ein fiktionales Konstrukt mit anderen Namen gehüllt hat, die eigene Identität nicht zu 100% preisgeben wollte, ein wenig im Verborgenen lassen.

Das Kernthema des Romans ist Akis Beziehung zu ihrer an Demenz erkrankten Mutter Keiko, mit der sie ein letztes Mal in deren Heimat Japan reisen möchte. Um dieses Ereignis herum entspinnt sich ein bunter Fächer von anachronisch durchgewürfelten Szenen, in denen Aki von sich selbst und ihrer Familie erzählt. In den alternierenden Prosahäppchen (Häppchen passend zum Titel) sind wir mal bei ihren intellektuellen deutschen Großeltern in Baden-Württemberg und tafeln mit dem Silberbesteck der Boomer-Wohlstands-Generation, sitzen auf dem “Opasessel”. Dann wieder bei ihrem psychisch kranken Vater, der seine Kinder - Aki hat noch einen älteren Bruder, Kenta - nur selten sieht, sich von seiner kleinen Familie entfremdet hat. Und dann geht es wieder um die uralte japanische Matriarchin Yasuko und deren Tochter Keiko, die sich in Deutschland zurechtgefunden hat und doch nie ganz angekommen ist. Schließlich ist da natürlich Aki selbst, die zwischen den Kulturen aufwächst und sich dabei selbst finden muss. 

Es geht um die winzigen Details, die ein Leben ausmachen. Um alles, was wir so ansammeln - in unseren Behausungen und in unseren Köpfen. Und um das, was uns wieder genommen wird, wenn wir im Alter wieder zu einem vergangenheits- und dingelosen Wesen werden. Der Zeitgeist der Generation der Xennials, der sowohl ich als auch die Autorin angehören, wurde meiner Meinung nach perfekt eingefangen. 

“Onigiri” ist das Lieblingsgericht der Ich-Erzählerin, das die Mutter ihr und ihrem Bruder immer gemacht und auf einem alten, apfelförmigen Brett serviert hat. Es ist quasi das Leitmotiv dieses Romans, in dem es um das Erinnern geht. Die Demenz von Akis Mutter hat es ihr unmöglich gemacht, für sich oder andere zu sorgen und somit gibt es auch kein von ihrer Mutter zubereitetes Onigiri mehr. Und jeder, der mal jemanden hatte, der ein Gericht auf eine besondere Weise zubereitet hat und das nicht mehr kann, weiß, welcher Schmerz alleine in dieser Tatsache steckt - ein Essen, das ganz besonders schöne Emotionen auslöst, in der Zubereitung durch diesen einen speziellen Menschen für immer verloren zu haben.

Herzlichen Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar und die Zugaben!


Dienstag, 22. Juli 2025

"Die Geschichte des Klangs" von Ben Shattuck


Glück ist keine Geschichte

“Mein Großvater hat mal gesagt, dass Glück keine Geschichte ist. Darum gibt es über diese ersten Wochen nicht viel zu sagen.” 

Diese kraftvolle Aussage aus “Die Geschichte des Klangs” von Ben Shattuck hält uns die schmerzhafte, aber wichtige Erkenntnis vor Augen, dass Glück nicht literarisch ist und niemals sein kann. Nur der Verlust des Glücks ist erzählenswert, nur die Trauer um das Glück erschafft Kunst. Erfüllte Liebe ist nicht spannend für die Lesenden und deswegen hören die meisten positiv endenden, klassischen Lovestories auch dann auf, wenn die Liebenden sich bekommen haben. Nicht so bei David und Lionel, zwei Musikstudenten von der Ostküste der USA, die kurz vor dem ersten Weltkrieg - jung, schön und ungebunden - einander begegnen. David studiert Komposition und “sammelt” Lieder, David ist ein begabter Sänger und hat Synästhesie - er fühlt, riecht und schmeckt Farben. Sie werden ohne große Umschweife ein Paar. 

Lionel blickt im ersten Teil des kurzen, gerade mal 104 Seiten zählenden Romans als alter Mann in den USA der 1980er Jahre auf ihre Liebe zurück. Und diese Liebe ist eben nur unsterblich, weil sie keine Erfüllung in der Dauer erlebt hat. Sie ist nur 
solange “keine Geschichte”, so lange sie einen Sommer lang glücklich durch Maine reisen und Folksongs auf Wachswalzen aufnehmen. Sie lieben sich, essen Blaubeeren, bis sie blaue Zungen haben, sie schlafen unter freiem Himmel mit- und nebeneinander, sind einfach glücklich, bis das Leben sie kurz danach trennt und nie wieder zusammenführen wird. Nie wieder. Und dann ist es eben wieder der Verlust der Liebe, das Ende des Sommers und somit des Glücks, der eine Geschichte, der Literatur entstehen lässt.

Bei Amy ist es genau andersherum. Zu der jungen Frau, die im gleichen Amerika die Wachswalzen in ihrem neuen Haus mit Geschichte findet, war die Liebe gnädig. Sie hat ihren Henry, den Specht-Forscher, den attraktiven Ornithologen, bekommen, obwohl das Schicksal sie für kurze Zeit getrennt hat. Für sie gab es ein “danach”, ein Leben an der Seite des Mannes, den sie liebt. Aber ist dieses Leben trotz der ganzen Liebe auch ein erfülltes? Hat sie sich nicht selbst aufgegeben, um das Glück zu finden? 

Der Roman stellt die Frage, ob eine kurze große Liebe, auf die man mit Wehmut, Leidenschaft und Trauer zurückblicken kann, nicht mehr wert ist als alle Erfüllung. Und das macht Ben Shattuck wirklich großartig. Auf eine leise, eindringliche Art, die einen noch lange über diese Frage nachdenken lässt. 

Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren.

Herzlichen Dank an Hanser Literatur und vorablesen für das Rezensionsexemplar!


Freitag, 18. Juli 2025

Ein Gedicht an mein Buch, 18.7.2025


Überall Zeichen, ob in der großen Natur,
im Menschenwerk aus Stahl, im Äther
Eure Geschichte bin nicht ich
Sie gehört euch wie eure Seelen
Ich habe ihr nur meine Hand geliehen
meine Augen, meinen Kopf - das,
was man Verstand nennt

Morgen, übermorgen, eines Tages
wird sie leuchten im Blick derer
die sie zum Leben erwecken
mit ihrem Lächeln, ihren Tränen,
die Zwiesprache halten
mit den Worten

(Ein Gedicht an mein Buch, 18.7.2025)

🏳️‍🌈 

Mittwoch, 16. Juli 2025

"Die schlechte Gewohnheit" von Alana S. Portero


Stell dir vor, die erste Wesenheit, der du romantische Gefühle entgegenbringst, die du küssen und berühren möchtest, ist ein wunderschöner, frisch gestorbener junger Drogentoter, der vor deiner Haustür liegt. Du bist fünf Jahre alt, ein dicklicher träger Junge, in dem die Seele eines zarten Mädchens steckt. Du wächst bei einer fast armen, aber ansonsten sehr liebevollen Familie (der ältere Bruder ist dein Held und Halt) in einem Arbeiter(= Problem)viertel von Madrid auf, in dem Glanz und Gloria, die du heimlich vor dem Spiegel übst, so weit entfernt scheinen wie der Horizont. Du fühlst dich in der Gesellschaft von Frauen am wohlsten und stellst gleichzeitig fest, dass du auf Männer stehst. Du machst als Teenager erste sexuelle Erfahrungen mit einem ziemlich süßen Jungen, lernst die queere Welt ein bisschen besser kennen und eigentlich ist alles ganz nice, doch da ist etwas: Du bist kein Junge, kein Mann. Du bist eine Frau. Und außerdem ist da die Gesellschaft und die “reale” Welt um dich herum: mit ihren binären Vorstellungen, ihren limitierenden Glaubenssätzen, ihrer Engstirnigkeit und ihrer Gewaltbereitschaft. Wie kann man unter diesen Voraussetzungen zum Mensch werden, der man ist, wie kann man aus dem Käfig ausbrechen, der um einen herum gezimmert wurde?

Alana S. Portero hat einen autofiktionalen Roman über ihre eigene Herkunft und das finden ihrer Identität geschrieben. Wie viel davon “wahr” ist weiß wohl nur sie selbst. Wir Lesende wissen nach der Lektüre jedenfalls ein kleines bisschen besser, wie schwierig es ist für eine Seele, die sich mit dem Gefängnis aus Fleisch, in das sie bei der Geburt hineingezwängt wurde, nicht identifizieren kann, in einer binären Welt zurechtzukommen. Der Text geht sowohl ans Herz (und das extrem) als auch an die Nieren (Triggerwarnung: Gewalt gegen Transmenschen und Homophobie). Ich habe selten einen so authentischen, einfühlsamen Roman gelesen wie diesen hier. 

Auch bezüglich seiner poetischen Sprache ist dieser Roman einer, der in Erinnerung bleibt im Einheitsbrei. Die Ich-Erzählerin baut sich einen mythologisch-märchenhaften Überbau, den sie ihrer Umwelt, ihrem Viertel und den Menschen, die es bewohnen, überstülpt. Es gibt Aphroditen, Circen, Nymphen und vieles mehr. Sie alle helfen ihr, die Welt um sie herum erträglicher zu machen. Die Ich-Erzählerin nennt queere Menschen “Bewohner unseres Waldes” und ich musste fast weinen, als ich das gelesen habe, denn es hat mich mitten ins Herz getroffen.

Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit dafür, dieses Buch gelesen zu haben. Es hat mich einfach erfüllt und während der Lektüre war ich komplett bei der Ich-Erzählerin. Ich habe endlich mal in Ansätzen das empfunden, was Transpersonen empfinden müssen. Diese Zerrissenheit, dieses Zwischen-den-Stühlen-sein-und-nie-ganz-den-richtigen-Platz-finden. Eine Lektüre, mir der ihr eure Zeit zu 100% nicht verschwendet - Ehrenwort. Ganz, ganz toll! Aus dem Spanischen übersetzt von Christiane Quandt.



Montag, 7. Juli 2025

"Content" von Elias Hirschl

Dieser Roman ist total gestört - im besten und positivsten Sinne. Er ist gaga, delulu, irre - was ihr wollt! Sowas muss einfach einem genialen Gehirn entsprungen sein, das kannst du dir nicht ausdenken. Ich habe auch manchmal gar nicht gecheckt, was hier eigentlich abgeht, vor allem als es um die Doppelgängerin ging, bin ich doch ziemlich im Dunkeln getappt - man muss quasi doppelt aufmerksam “hinschauen”. Und weil ich außerdem absolut keine Ahnung habe, wie ich hierzu eine “normale” Rezi schreiben soll, gibt es jetzt - Trommelwirbel / Premiere / Neu, neu, neu und wahrscheinlich einmalig - ein Rezi-Listicle. Denn in diesem Roman “Content” geht es vor allem um Listicles, also solche Online-Artikel, in denen Infos anhand von Listen übermittelt werden. Und um ihre Schreibenden auf einer von den Russen gesteuerten “Content-Farm” in einem gruseligen ehemaligen Industrieort mit dem Nickname “Staublunge”, die dort vor sich hin vegetieren und dabei langsam aber sicher in den Wahnsinn abdriften. Klingt mega, oder?

Also: 10 Gründe, warum du “Content” von Elias Hirschl aus dem Zsolnay-Verlag besser gestern als morgen gelesen haben solltest 

  1. weil es einfach anders krass reinhaut und wir alle hier und da einen frischen literarischen Wind im Einheitsbrei brauchen

  2. weil Karin einfach Badass ist, recht hat und es keine “letztgültige Wahrheit” gibt

  3. wegen der Perfidität von Plastikkateen, die dir vorgaukeln unsterblich und immer an deiner Seite zu sein 

  4. weil jeder, der mit Rote-Bete-Produkten Geld verdienen möchte, einen an der Waffel hat

  5. weil es die Meinung enthält, dass Musils “Mann ohne Eigenschaften” ein “beschissenes, anstrengenes Buch” ist. Ihr könnt mich ja vom Gegenteil überzeugen. Sorry RM, aber wer hat schon geschafft, es wirklich zu lesen und zu verstehen. Selbst “Ulysses” war um Weiten zugänglicher.

  6. weil “Content” den Finger auf die Wunde und damit auf das Dilemma unserer überdifferenzierten, überinformativen Welt der unendlichen Optionen legt. Wir wissen einfach zu viel und doch wieder fast nichts wirklich. Wer bin ich und wenn ja bin ich ein Bot?

  1. weil Elias Hirschl allein für die mit Semikolon aneinandergereihten Listicle-Ideen auf den Seiten 162-169 den Literatur-Nobelpreis hinterhergeschmissen bekommen müsste. Ich habe selten so gelacht und kann euch nur einen meiner vielen Favoriten zitieren: “die 14 dümmsten Wege, die Druckkosten eines Romans zu erhöhen;” (S. 164)

  2. weil ich Seite 162-169 immer wieder und wieder lesen werde, bis ich es auswendig mitzitieren kann

  3. weil queere Charaktere vorkommen, obwohl man es nicht erwartet

  4. (Spoiler) weil das Ende so schön traurig ist bzw. die Liste, in der man lernt, wie man ein glücklicheres Leben führt - wer würde das nicht wollen?

Danke an den Zsonlay-Verlag für den Gewinn!




Donnerstag, 3. Juli 2025

"Schwindel" von Hengameh Yaghoobifarah


In dem Roman “Schwindel” von Hengameh Yaghoobifarah geht es um eine Situation, die für alle Beteiligten unangenehmer nicht sein könnte: Vier Liebhaber_innen aus einem Vierecksverhältnis, die gemeinsam auf einem Hochhausdach “ausgesperrt” sind. Aua. Vor allem doof ist es für die, die mit allen drei anderen was am Laufen hat: Ava. Sie hatte was mit Delia (dey/demm), gehostet ihre Affäre Silvia (die sehr viel älter als alle anderen ist, die Anfang 30 sind) und ist verknallt in Robin, die eigentlich in einer heteronormativen Langzeitbeziehung mit ihrem Partner Ivo ist. Und nun erweist sich die Hölle mal wieder als “die anderen”, wie es bei Sartre so schön heißt. Mensch muss sich mit den Entitäten außerhalb des eigenen Selbst auseinandersetzen, egal wie schmerzhaft, schön und schrecklich es auch sein möge. 

Nicht nur vom Thema her, sondern auch erzählerisch ist das sehr clever gemacht: Die Teilnehmenden der temoporären Zwangsgemeinschaft lernen wir nach und nach als Individuen kennen - ihre Träume, ihre Traumata, ihr Begehren und ihre Wünsche für die Zukunft. Ein bunter Fächer an queeren Lebensentwürfen, die eines eint: sie sind Menschen und sie wollen glücklich sein.

Ich musste an vielen Stellen richtig schmunzeln, weil in diesem Roman so herrlich unverkrampft mit Klischees gespielt wird, ohne dass es jemals böse gemeint ist. Da sinniert eine Figur zum Beispiel über “Wanderlesben”, mit denen sie eben nicht in einer Beziehung sein möchte. Oder an anderer Stelle wirft eine Person der anderen an den Kopf: “Was bist du für eine Lesbe, wenn du keinen Karabinerhaken mit deinen Schlüsseln an deiner Jeans trägst?” (S. 49) Lol. Yaghoobifarah holt den Humor in die queere Schreibe zurück und ist gleichzeitig an vielen Stellen hoch literarisch, spielt mit Sprache und weiß einfach damit umzugehen. Auch wenn der Roman in der dritten Person erzählt wird, wird für jede Figur ein anderer “Sprech” verwendet. Um Delias Perspektive zu vermitteln, wurde beispielsweise Kleinschreibung benutzt, was ich sehr spannend finde. Wie anders kommt Sprache an, wenn sie gleich gemacht wird, wenn sie ohne Höhen und Tiefen fließt. Und bei Silvia kommt einem die Erzählweise fast konservativ, “bürgerlich” vor, obwohl sie alles andere ist als das, aber sie ist halt “die Alte”. Ava weißt nicht recht, was sie will, wer sie ist und auch das spiegelt sich in ihren sprunghaften Passagen wider.

Neben dem humorvollen Touch, dem ganz eigenen Slang und dem Spiel mit Wörtern und Sprache ist dem ganzen Roman noch ein philosophischer Überbau beigefügt, der das Ganze zu einem perfekten Kunstwerk macht. Auch die esoterischen Einsprengsel hier und da fand ich spannend. Yaghoobifarah versteht einfach von allem was.

Das Buch wurde mir übrigens von einer Buchhändlerin empfohlen, als ich “Auf allen Vieren” von Miranda July gekauft habe. Also ihr wisst schon: Kund_innen, die kauften, kauften auch… Kann ich so unterschreiben. Nur dass “Schwindel” meiner Meinung nach besser ist als der Roman von July. Aber maybe that’s just me, auf jeden Fall: lesen, wenn ihr mögt!


Freitag, 27. Juni 2025

"Strandgut" von Benjamin Myers


Der alte Mann und das britische Meer

Wenn ich Benjamin Myers lese oder an sein Werk denke, dann schiebt sich ein Wort vor allen anderen in mein Bewusstsein: zeitlos. Sein hierzulande wohl berühmtester, meist gelesener und besprochener Roman “Offene See” spielt in der Vergangenheit, sein aktuelles Buch “Strandgut” in der Gegenwart. Aber irgendwie ist das nebensächlich, denn der individuelle Erzählton des britischen Autors ist immer derselbe: poetisch, klassisch, auf den Punkt. Myers Erzählen wird die Zeiten überdauern, seinen Status als “moderner Klassiker” mit jedem neuen Werk untermauern. Neben dem besonderen Erzählton vor allem auch deshalb, weil er zeitlose Menschheitsthemen zum Gegenstand seiner Bücher macht, mit denen sich praktisch jeder und jede identifizieren kann: Liebe, Verlust/Tod/Trauer, Schicksal, Neuanfang bzw. “das Danach”.

Der Phönix, der aus den verbrannten Trümmern seines Lebens aufsteigt, ist in “Strandgut” (Originaltitel: “Rare Singles”) der Amerikaner Earlon “Bucky” Bronco. Der Name könnte klischeehafter nicht sein. Am Anfang erleben wir den ehemaligen Soulsänger und mittlerweile Ü-70-Jährigen in seiner Heimat Chicago, wo er uns als gebrochener Mann und gebeutelte Seele entgegen humpelt: Er holt sich in der Apotheke/Drogerie seine Opiate, denn ohne sie kann er nicht mehr leben - genauso wenig wie ohne seine Frau Maybellene, die allerdings vor fast einem Jahr an Krebs verstarb. Ein Süchtiger, einer, der seine Trauer betäubt. Hier wäre die Geschichte eigentlich nur noch aus der Retrospektive relevant, wenn da nicht die Zukunft wäre, die Bucky ruft: Er soll seine wenigen alten Hits, die er als Teenager eingesungen hat und mit denen er nichts verdient hat, bei einem Festival im englischen Küstenort Scarborough singen und bekommt alles bezahlt. Hauptsächlich geht es jetzt also darum, wie er eine Woche in England verbringt und dort u.a. auf komische Mahlzeiten, englische Gebräuche und die Ü-50-Jährige Dinah trifft, die ein Fan von ihm zu sein scheint. Kann das “Hier und Jetzt” Bucky nochmal für sich begeistern?

Benjamin Myers schafft es irgendwie immer mich mitzunehmen - egal welche Geschichte er erzählt. Seine Worte, seine lyrische Prosa machen selbst - setze ein unflätiges Wort, das Exkremente beschreibt - zu Gold. Wobei ich die Geschichte, den Plot, die etwas karge, manchmal spröde und oft herzerwärmend ruhige Handlung auf keinen Fall runtermachen möchte. Solche Geschichten haben ihren Platz, ihre Nische. Solche Geschichten berühren, auch wenn sie vielleicht nicht für jeden sind. “Strandgut” ist vielleicht nicht Benjamin Myers gefälligstes, schönstes Buch, aber es macht sein Gesamtwerk um eine wichtige Facette reicher. Der Roman atmet Musik und Leben, zeigt uns, dass - so negativ der Status auch sein möge - immer die Chance auf eine bessere Zukunft in unseren eigenen Händen liegt. Wir sind unseres Glückes Schmied - wir müssen nur die Augen aufmachen und das Eisen aufheben, das wir zu dem vielleicht schönsten Hufeisen schmieden werden, das wir jemals in der Hand gehalten haben. Empfehlenswert. Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence.

Herzlichen Dank an Dumont und Vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!


Sonntag, 22. Juni 2025

"Mittsommer" von Lucy Foley


Happy Mittsommer! Kennt ihr das Phänomen aus schlechten Serien, wenn Charaktere sterben und dann in der nächsten Staffel wieder auftauchen, weil sie doch keinen besseren Job gefunden haben? Gut, in Büchern ist das jetzt nicht das Problem, aber wenn ihr darauf steht, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, seid ihr mit “Mittsommer” (Original: “The Midnight Feast”) von Lucy Foley gut bedient.

In diesem Thriller geht es um ein schickes Retreat/Öko-Hotel an der englischen Küste von Dorset, das die Londoner Unternehmerin Francesca Meadows aus dem Landsitz ihrer reichen Familie gemacht hat. Am Mittsommertag 2025 (also genau heute) möchte sie es eröffnen. Ihr attraktiver Ehemann Owen, der Architekt ist und das Retreat mitgestaltet hat, steht ihr dabei zur Seite und auch ihre Kristalle und Edelsteine, die sie vor Neidern und bösen Energien schützen sollen. Doch Francesca trägt selbst eine dunkle Vergangenheit mit sich rum. Was haben Michelle, ihre persönliche Assistentin, der 19-jährige Eddy vom heruntergekommenen Bauernhof aus der Nachbarschaft, der als Tellerwäscher angestellt wurde sowie die mysteriöse Bella damit zu tun, die eine der Hütten in der Nähe des Waldes bewohnt? Na alles natürlich, wie sollte es auch anders sein.

Was ich schlecht fand: Die Geschichte ist schon sehr übertrieben in ihrer Verbissenheit, für alles einen Plottwist zu konstruieren. I mean: come on…Aber so genau kann ich nicht darauf eingehen, wenn ihr es noch lesen wollt. Die Charaktere sind teilweise sehr klischeehaft gezeichnet (Francesca, ihre Brüder, Michelle) und handeln nicht wie echte Menschen, sondern so, als würden sie von einer KI gesteuert. Alles hat so einen Anstrich von unrealistischer Serie, Konstrukt, “Desperate Housewives”. Zudem hat das Buch seine Längen und mir hat öfter die Spannung gefehlt. Zu einem gewissen Zeitpunkt habe ich das Interesse fast verloren, aber dann doch noch die Kurve gekriegt. Dass der Vollmond im Juni 2025 - also genau jetzt - nicht zu der Zeit stattfindet, in der er stattfinden sollte, finde ich nicht so prickelnd. Man kann auch mal einen kurzen Blick ins Internet bzw. den Mondkalender werfen oder fällt das unter künstlerische Freiheit? Wir werden es nie erfahren.

Was mir gefallen hat: Dass der Thriller mit ländlichem Aberglauben und der Verwurzelung der Bevölkerung mit den heidnischen Traditionen spielt. Das passt zu Mittsommer, das ja auch ein heidnisches Fest ist und mal ausnahmsweise nicht von Kirche für ihre Zwecke adaptiert wurde. Den ganzen Themenkomplex Esoterik/Heidentum fand ich sehr gut umgesetzt und in die Handlung verwoben. Die Atmosphäre wurde absolut greifbar, das perfekte Setting zwischen Wald und Küste hat dazu beigetragen. Man hat es gefühlt, wie es ist, dort zu sein. Reiche Leute, die so tun wollen, als seien sie natur- und erdverbunden. Hat mich überzeugt bzw. nicht lol. Auch der Einbau von Gegenwarts- und Vergangenheitshandlung war stimmig. Raffiniert ist ebenfalls, dass man bis fast zum Ende nicht erfährt, wer das Mordopfer ist, ja noch nicht mal sein Geschlecht.

Alles in allem eine Mischung aus: Ja, kann man lesen, ist ganz unterhaltsam, aber ist auch stellenweise echt verwirrend und wirkt sehr stark konstruiert. Man kann direkt zwischen den Zeilen spüren, wie sich die Autorin das Ganze ausgedacht hat. Und ob das bei einem fiktionalen Werk so sein soll, dass man den Spreadsheet des Schreibenden vor sich sieht, während man liest, das sei jetzt mal dahingestellt. 

Aus dem Englischen übersetzt von Ivana Marinović für den Penguin Verlag.


Montag, 16. Juni 2025

"Permafrost" von Eva Baltasar


“Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie?” hat sich Thomas Bernhard gefragt. Im besten Falle beides. In Lektüren und neuerdings auch in meinem eigenen Schreiben suche ich immer das Tragikomische. Es ist einfach das, was mich am meisten anspricht, was Literatur für mich menschlich und “echt” macht. 

Nicht nur ist Thomas Bernhard auch mit aus diesem Grund einer meiner Lieblingsautoren. Er verbindet das abgrundtief Traurige mit dem Humorvollen, den Schmerz mit dem Kalauer und dem beißenden Sarkasmus. Und wenn dann eine zeitgenössische Schreibende ihr Buch mit einem Zitat von ihm beginnt, dann ist das für mich allein schon ein Qualitätsnachweis und Vertrauensvorschuss, bevor ich das Buch überhaupt begonnen habe. Die katalanische Lyrikerin Eva Baltasar hat es getan. Ihren schmalen Roman “Permafrost”, der gleichzeitig ihr erstes Prosawerk ist, mit einem Thomas-Bernhard-Zitat eingeleitet: “To be born is to be unhappy, he said, and as long as wie live we reproduce this unhappiness.” Der Satz stammt aus dem Roman “Der Untergeher”, der in der Übersetzung witziger und nicht ganz akkurater Weise “The Loser” heißt. Da ich des Katalanischen nicht mächtig bin, habe ich Baltasars Buch in der englischen Übersetzung von Julia Sanches gelesen.

Um was geht es? Eine lesbische Ich-Erzählerin, gebürtig aus Barcelona, die edgy ist und wo es geht versucht, gegen gesellschaftliche Normen aufzubegehren, berichtet uns plain and simple aus ihrem Leben. Gescheiterte Lieben, das Lesbischsein, gescheiterte Berufe, Liebäugeln mit dem Selbstmord, die monatliche Qual der Endometriose, der gesellschaftliche und berufliche Erfolg der Schwester, die sie ja doch liebt. Es geht nicht so sehr um das “Was”, sondern vielmehr um das “Wie”. Um die Authentizität, mit der sie schreibt, dass sie kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um Körperliches geht und um den Hauch von Witz und Ironie mit der sie das Thema “Suizid” mit ihren perfekt gewählten Worten einsprüht. Schwärzer als in “Permafrost” kann Humor fast nicht sein. Ich habe mir viele Sätze markiert in diesem Buch, einfach weil sie so schön und wahrhaftig sind. Zum Beispiel: “Like love, death catches the body. So let it be caught unawares.” (S. 13) oder “Sex distances me from death, though it doesn’t bring me closer to life.” (S. 91). Das Buch muss man selbst erlebt haben und kann es trotz der Kürze nicht eben so weglesen.

Das Buch ist der erste Band einer Trilogie - Permafrost, Boulder, Mammut -  in der es um drei lesbische Frauenleben geht. “Mammut” erscheint im Herbst in der Übersetzung bei Schöffling & Co.


Freitag, 6. Juni 2025

"The Darkest Night" von Victoria Hawthorne


Ich mag es, wenn Bücher schräger, überraschender, in irgendeiner Weise anders sind, als ich es von ihnen erwartet habe. Bei “The Darkest Night” von Victoria Hawthorne habe ich einen irgendwie feministischen Suspense-Mystery-Roman mit Hexen erwartet. Zwar habe ich den auch bekommen, aber zusätzlich einen eingeflochtenen queeren Histo. In der Verganenheitshandlung geht es nämlich um die Liebe zweier Frauen im ländlichen Schottland der 1910er Jahre. Die eine ist die Vorfahrin der Jetztzeit-Protagonistin Alisa Reid, die als lehrerin an einer Privatschule arbeitet und in ziemlicher Aufgebrachtheit (warum, erfahren wir erst nach und nach) von London in ihren schottischen Heimatort reist, um bei ihren Großeltern zu sein, die sie aufgezogen haben. Doch ihre demente Großmutter Moira ist verschwunden, ihr Großvater wird gerade mit einer Kopfwunde von einem Krankenwagen abgeholt. Was ist vorgefallen? Hat ihre Großmutter etwas damit zu tun?

Wir reisen also zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her in diesem Roman, was ich persönlich sehr gerne mag. Der generationenübergreifende Konflikt - hier ist es ein “Fluch”, denn die Vorfahrinnen von Alisa wurden als Hexen an einem Felsen über dem Meer verbrannt - der alle Frauen der Geschichte verbindet, ist jetzt nicht mein Lieblings-Motiv. Dafür wurde es einfach zu oft schon durchgekaut: Mehrere Frauen über Generationen verbindet ein Geheimnis: eigentlich ein bisschen gähn! Doch hier wurde es eben mit dem interessanten queeren Twist ein wenig aufgepeppt, dementsprechend mochte ich auch die Geschichte von Elspeth und Selina, die eine der ersten Ärztinnnen im ländlichen Schottland war, am liebsten. Alisa als Protagonistin ist für mich etwas zu pathetisch rübergekommen und sie hat mich als Person auch nicht wirklich gecatcht. Ihren homosexuellen Onkel Doug, der als vielbeschäftigter Vater in einer Regenbogenfamilie mit seinen schwierigen Kindern und der darunter leidenden Beziehung zu seinem Ehemann hadert, mochte ich dann wieder sehr gerne. Er kam sehr lebensecht und sympathisch rüber, weil er eben nicht perfekt ist und das auch zugibt. Er ist einer der wenigen “angenehmen” Männer in diesem Buch, fast der einzige sympathische Hetero-Mann ist Alisas Opa, der “Pop” genannt wird. Und dabei wären wir auch schon beim Hauptthema des Romans: Die Ungerechtigkeiten, die Männer Frauen angetan haben und noch immer antun. Ja, ein hartes Thema, aber it is what it is. Den Schluss fand ich schon etwas unglaubwürdig, aber alles in allem ein gut zu lesender, düsterer Roman aus den schottischen Highlands. Man kann die salzige Meerluft und die erdigen Berge förmlich riechen - der Schauplatz ist ein großer Pluspunkt. Meines Wissens nach noch nicht auf Deutsch übersetzt.


Donnerstag, 29. Mai 2025

"Das Parfum" von Patrick Süskind

Dies ist keine Rezension im klassischen Sinne, sondern ein Leseeindruck, quasi “Das Parfum” revisited, 40 Jahre später. Was soll man noch Neues sagen über einen Roman, der so lange erfolgreich auf dem Buchmarkt existiert und in über 50 Sprachen übersetzt wurde? Ein moderner Klassiker, der zigfach besprochen und auseinandergenommen wurde. Genau. Eine Frage aber kann ich euch in dem Zusammenhang beantworten: Warum habe ich ihn überhaupt erst jetzt zum ersten Mal gelesen? Weil ich ein Weichei war. Ich hatte Deutsch Leistungskurs und nur im Grundkurs haben sie “Das Parfum” gelesen. Jemand erzählte, dass das Ende so furchtbar eklig und grausam sei. Obwohl mich das Buch und die Story immer interessiert und angezogen haben, hatte ich es doch als Lektüre gemieden, eben wegen dem scheinbar grausigen Ende. Spoiler: Es ist gar nicht so schlimm wie befürchtet und ich konnte wunderbar mit diesem Ende leben. Es ist ein gutes, ein sinniges Ende.

Aber warum dann jetzt doch? Nun ja, ich habe ja gerade selbst einen Roman geschrieben und “Das Parfum” wird in meinem Buch intertextuell erwähnt. Manchmal machen literarische Figuren komische Sachen… Also musste/durfte ich auch ran, denn ich wollte nicht unwissender sein als mein Protagonist, der das Buch auch in der Schule gelesen hat. Und ja: Auch ich konnte mich dem Zauber dieser Geschichte, ihrer rohen und harten Originalität, nicht entziehen. Diese Düfte - eine Welt aus Düften! Was Süskind auf so einzigartige Weise gemacht hat - er hat einen der fünf Sinne zum Hauptthema seines Buches gemacht. Und dann hat er einen Antihelden geschaffen, der absolut abstoßend ist und gleichzeitig faszinierend und auf groteske Weise attraktiv. Diese beiden Punkte zusammengenommen machen die Einzigartigkeit von “Das Parfum” aus. Asexuelle Protagonist:innen führen ebenfalls ein Schattendasein in der Literatur. Grenouille ist im klassischen Sinne asexuell, wobei man auch sagen könnte, seine Nase ist sein Geschlechtsteil und seine Erotik nicht die Körperlichkeit, sondern der Geruch.

Was an “Das Parfum” ebenfalls besonders ist, ist die auktoriale Erzählstimme, die wie ein Relikt vergangener Zeiten anmutet und uns erfolgreich vorgaukelt, wir hätten es tatsächlich mit einem zeitgenössischen Roman aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts zu tun. Der Roman “brachte das Erzählen in die deutsche Literatur zurück”, sagt Christine Lötscher auf dem Klappentext.

Patrick Süskind ist einer der mysteriösesten Schreibenden unserer Gegenwart. Im heutigen Literaturbetrieb, in dem Autor:innen medial präsent sein und sich auch ein Stück weit selbst vermarkten müssen, haben es scheue, zurückgezogene Persönlichkeiten wie er eher schwer. Ein Segen, dass er seinen Weltbestseller in einer Zeit schrieb, in der das Werkzeug erster Wahl noch die Schreibmaschine war und Autor:innen es sich leisten konnten, exzentrisch zu sein, Preise abzulehnen und nicht öffentlich aufzutreten. Wer weiß, ob er das heute noch so hätte durchziehen können. Na gut, es gibt im deutschsprachigen Raum noch Walter Moers, der ebenfalls sehr zurückgezogen lebt, aber sonst? 

Ich bin froh, dass meine eigene Geschichte mich dazu inspiriert hat, endlich Grenouilles Geschichte zu lesen. Ich bereue es zu keinem Zeitpunkt und kann endlich sagen, dass ich kein Weichei mehr bin.




Sonntag, 13. April 2025

"Stammzellen" von Alina Lindermuth


Erschreckende und erfrischend andere Dystopie

Man stelle sich vor, es gäbe eine Welt, die von der Lebensrealität her genau so ist wie unsere, nur gäbe es auf dieser Welt eine Krankheit, die Menschen zu Bäumen macht. Sie plötzlich befällt und dann fangen sie schrittweise an, zu mutieren…Erst versteifen sich die Zehen, dann bildet sich immer mehr Rinde an den Beinen. Erst der Unterkörper und dann kassiert die Pflanze auch noch drn Oberkörper und vor allem das menschliche Bewusstsein ein, bis die Person nicht mehr ist und an ihrer Stelle ein ganz normaler, lebender Baum. Aber eben ein Baum. 

Mit diesem Gedankenspiel setzt sich die österreichische Autorin Alina Lindermuth in ihrem Roman “Stammzellen” auseinander. In ihrer Romanhandlung gibt es diese tückische Krankheit namens “Dendrose”, die eigentlich vor allem Menschen ab 50 befällt. Obwohl die Protagonistin des Romans, Ronja, noch wesentlich jünger ist, hat sie von Berufswegen mit der Dendrose zu tun. Sie verfolgt die aktuelle weltweite Forschung rund um die Krankheit und hat sogar einen Nebenjob als Dendro-Assistentin, wo sie Betroffene und deren Familien besucht. Schon gleich zu Beginn des Romans lernt sie den schönen Sprachwissenschaftler Elio kennen, der gerade an seiner Doktorarbeit über die Herkunft von Sprichwörtern forscht. Sie verlieben sich in dieser fragilen Welt, die von der neuen Krankheit und der Klimakrise fest umklammert wird. Und wie so oft in guter Literatur geht es also auch hier um die beiden ewigen Menschenheitsthemen-Bestseller Liebe und Tod, nur dass der Tod eben in ganz besonderer Form auftritt.

Lindermuth changiert erzählerisch immer wieder zwischen Ronjas Alltag als Ärztin am Krankenhaus (mich hat gewundert dass trotz Setting Österreich “Krankenhaus” und nicht ”Spital” gesagt wird) sowie ihrer Arbeit als Dendro-Assistentin und der Liebesgeschichte zwischen Elio und ihr. Letztere ist etwas spröde, aber ich denke, genau so wollte die Autorin sie auch darstellen. Liebe als Herausforderung, Liebe als Challenge. Von Anfang an liegt etwas Unausgesprochenes in der Luft und so ganz kommen die beiden irgendwie auf keinen wirklich zu 100 Prozent grünen Zweig. 

Die Stärke dieses Romans ist es, Stimmungen einzufangen. Das Licht eines Nachmittags, die Schönheit der Natur in Zeit und Raum. Lindermuth lässt poetische Sprachbilder entstehen, sie kann schreiben. Ein Beispiel: “Der Herbst hat die Bäume und Sträucher fein säuberlich abgeräumt, hat die Blätter einzeln heruntergekämmt und die Äste stehen lassen wie erstarrte schwarze Finger, die nicht wissen zu scheinen, wozu sie in diesen Monaten überhaupt existieren.” (S. 138). Bei solchen Sprachbildern sage ich einfach: Jep, gekauft und für gut befunden. Es ist quasi Nature Writing meets Dystopie/Science Fiction meets Liebesroman. 

Das kleine Problemchen, das ich mit dem Roman hatte, liegt eher im Berich des Plots und der Figurenentwicklung. So richtig konnte ich den Finger nicht drauf legen, aber irgendetwas mutet trotz aller Schwere der Thematik künstlich, leicht oberflächlich und manchmal nicht ganz ausgereift an. Aber das mag auch nur mein rein subjektiver Eindruck sein. Lindermuth übrspringt erzählerisch immer wieder ganze Monate, die Kapitel sind nach ihnen benannt, also Mai, Dezember, Jänner, etc. Die Situation wird immer nur szenisch gestreift und wir sehen die feinen Nuancen, die Zwischentöne nicht. Es werden quasi nur die Jahresringe der Beziehung zwischen Elio und Ronja präsentiert, aber das Holz dazwischen bleibt blass. Mir hat also die Verdichtung etwas gefehlt im Sinne von Feinheiten. 

Ansonsten ist die Idee natürlich grandios und mal eine Nature-Dystopie, die erfrischend und erschreckend anders zugleich ist. Wenn man das Buch zuschlägt ist man definitiv froh in einer Welt zu leben in der es keine Krankheit namens Dendrose gibt. Ein gutes Buch, mit sehr schöner, zur Thematik passenden Aufmachung, das ich für alle Liebhaber solcher Bücher auf jeden Fall empfehlen kann.

Herzlichen Dank an die Agentur Buchcontact sowie den Verlag Kremayr & Scheriau für das Rezensionsexemplar!


Donnerstag, 3. April 2025

"Wenn Ende gut, dann alles" von Volker Klüpfel


“Ob ich ein paar Seiten schreiben sollte? Doch schon als ich den Computer aufgeklappt hatte, wusste ich, dass ich mich heute vergeblich abmühen würde. Meine Gedanken waren ganz woanders, und wenn ich etwas übers Schreiben wusste, dann, dass man es nicht erzwingen konnte. Durfte!” (Volker Klüpfel: Wenn Ende gut, dann alles, S. 120)

Das Motiv des Ermittler-Duos ist seit Sherlock Holmes und Dr. Watson aus der Kriminalliteratur nicht mehr wegzudenken. Meistens sind die beiden Ermittelnden komplette Gegensätze und liefern sich oft zur Belustigung der Lesenden einen Schlagabtausch, manchmal gibt es auch eine erotische Anziehung zwischen ihnen. In “Wenn Ende gut, dann alles”, dem ersten Roman-Soloprojekt von Volker Klüpfel, des einen Teils des versierten Krimi-Duos Klüpfel und Kobr, geht es genau um ein solches ungleiches Ermittlenden-Duo, bei dem der Humor-Faktor ganz klar im Vordergrund steht.

Der erfolglose Thriller-Autor Thomas - Tommi - Mann (ja, hier wird nicht tief gestapelt!) lebt im abgelegten Wohnwagen seines Vaters, der jetzt in einer Seniorenresidenz residiert. Geerbt hat er außer dem baufälligen Haus auf zwei Rädern auch noch dessen ukrainische Putzkraft Svetlana. Während Tommi verzweifelt versucht, mit dem Schreiben voranzukommen, macht Svetlana bei ihm sauber und mischt sich in sein Leben und Schreiben, seine Lektüre-Gewohnheiten, seine Ernährung und die Nicht-Beziehung zu seiner On-off-Freundin Michelle ein. Dann läuft ihnen ein Mädchen mit Down-Syndrom über den Weg, was nicht spricht und niemanden zu haben scheint. Daraus wird sozusagen der erste Fall des Ermittlerduos Tommi und Svetlana, den sie natürlich am Ende erfolgreich aufgeklärt haben werden.

Was ich wirklich richtig nice und originell fand an dem Roman, ist die Tatsache, dass der Protagonist und Ich-Erzähler Tommi ein struggelnder Schriftsteller ist und wir seinen Schreibfortschritt - oder besser gesagt: Rückschritt - quasi beobachten können. In einem Roman von einem Schriftsteller über einen Schriftsteller ist immer auch ein ganzes Stück Metaebene als tragende Wand eingezogen. Der Bestsellerautor Volker Klüpfel versetzt sich mit Tommi in jemanden hinein, der noch kein Buch zu Ende gebracht hat, dessen großer Traum es aber dennoch ist, Schriftsteller zu werden.

Was mir nicht so gefallen hat, war der Fall an sich, der eigentlich furchtbar tragisch ist, aber sehr auf die Humorebene gezogen wurde, weil es sich bei diesem Roman eben um einen Cosy Crime handelt. Auch wurde die Sache mit dem einsamen Kind im Speziellen dann viel zu gefällig durch eine Deus-Ex-Machina-Situation aufgelöst. 

Dass sehr viel Text aus dem gebrochenen Deutsch von Svetlana generiert wurde, fand ich ebenfalls wenig zeitgemäß. Den naiv-klugen Kluftinger-Humor habe ich dennoch vermisst und nur an ganz wenigen, Tommi selbst betreffenden Stellen, aufblitzen sehen.

Ich hoffe, dass mir der nächste Band vom Inhaltlichen etwas mehr zusagen wird. Alles in allem habe ich aber besonders Tommi ein wenig ins Herz geschlossen und bin gespannt, was er und Svetlana noch so alles ermitteln werden.

Herzlichen Dank an die Agentur ehrlich&anders für das Rezensionsexemplar und die tolle Camping-Tasse sowie Penguin Randomhouse Deutschland.

Freitag, 14. März 2025

"Hier draußen" von Martina Behm


Mental Load und Schweinedung

“Hier draußen” ist ein moderner Dorfroman, der in einer kleinen norddeutschen Ortschaft der Gegenwart spielt. Wir haben aber auch immer mal wieder Einschübe, Rückblenden, die die Situation auf der Handlungsebene mit Hintergrundinformationen unterfüttern. Diese Struktur hat mir sehr gefallen und war hier auch hilfreich, um das Gelesene besser zu verstehen.

Wir begegen in diesem Buch mehreren Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft verdienen. Die “alteingessenen” Dörfler sind alle um die 60 Jahre alt und entsprechend eingefahren, haben Gesundheits-, Finanz- und/oder Eheprobleme und viel zu viel Arbeit, denn die Kinder übernehmen in der Regel nicht mehr einfach so den Hof der Eltern, sondern ziehen in die Stadt oder in andere Bundesländer, studieren, leben ihr eigenes Leben. Ein umgekehrtes Phänomen ist der Zuzug gut situierter und gut ausgebildeter jüngerer Leute um die 30/40, die “hinaus aufs Land” wollen. So wie Lara und Ingo, zusammen mit ihren schulpflichtigen Kindern Erin und Erik. Sie haben sich einen “Resthof” gekauft - aber werden sie, die Städter aus Hamburg - er Manager bei einem Start-Up-Unternehmen, sie freiberufliche Grafikerin - wirklich den Rest ihres Lebens in diesem Kaff Fehrdorf verbringen? Dann gibt es noch Jutta und Armin, die “Öko-Hippies”, die vor 30 Jahren aus der Stadt ins Dorf gezogen sind, um eine WG zu gründen. Sie sind übriggeblieben, nicht wirklich zusammen, aber gelegentlich doch. Auch sie werden im Laufe der Handlung eine wichtige Rolle spielen.

Aber die Handlung, was ist das hier überhaupt? Das ist ein wenig das Problem des Romans. Der rote Faden, um den sich die Erzählung lose windet, ist eigentlich, dass Ingo eines Abends, als er von Hamburg, wo er nach wie vor arbeitet, nach Hause pendelt, eine weiße Hirschkuh überfährt. Der ortsansässige Jäger und Schweinebauer Uwe, ein ewiger Junggeselle, erschießt mit Ingo zusammen das leidende Tier. Dumm nur, dass eine Prophezeiung sagt, wer eine weiße Hirschkuh tötet, wird innerhalb eines Jahres sterben. Das ist an sich schon sehr spannend, wird aber im Laufe des Plots oft aus den Augen verloren. Es geht vielmehr darum, die Dörfler und ihre Probleme detailliert zu beschreiben.

Und das ist tatsächlich die Stärke des Romans. Besonders die Situation der ländlich lebenden Frauen hat Martina Behm hervorragend eingefangen. Anhand der jüngeren Städterin Lara beschreibt sie auf realistische Weise die Struggles einer arbeitenden Mutter, die sich für die Kinder, ihren Mann, das Haus, den Hund und und und den Allerwertesten aufreißt. Die als Selbständige weiterkommen möchte und der nur Steine in den Weg gelegt werden. Das Mental Load, oh dieses verdammte Mental Load. Die unsichtbaren Tasks, die Mütter immer und ständig auf dem Schirm haben müssen und die kein anderer sieht oder macht. Auch Tove Wirtz, die um die 60 ist, hat ihr Leben für andere gelebt: den undankbaren, cholerischen Mann, die beiden Söhne, die jetzt längst woanders wohnen, die Dorfgemeinschaft, den Hof. Wird auch sie nochmal ihr Glück finden? Uwe ist der unerwartete Sympathieträger des Romans. Seine Geschichte ist besonders herzzerreißend.

Für meinen Geschmack wurde die Handlung etwas zu sehr in die Länge gezogen. Man hätte hier sehr gut kürzen können, vor allem was die detaillierten Beschreibungen des Zubereitens von Nahrung, etc., angeht. Manches hätte ich genauer wissen wollen, anderes war mir hingegen zu ausführlich ausgearbeitet.

Alles in allem aber ein sehr unterhaltsamer, starker Dorfroman, den ich euch empfehlen kann.

Herzlichen Dank an dtv und vorablesen für das Rezensionsexemplar!

Dienstag, 25. Februar 2025

In eigener Sache: Schreibpause mit Unterbrechungen


Ich habe folgenden Beitrag gestern auf Instagram geposted, er gilt aber natürlich auch für die Leser*innen meines Blogs. Vielen Dank für euer Verständnis und eure Treue!

Hallo ihr Lieben!

Wie manche von euch vielleicht aus der Story wissen, schreibe ich gerade selbst an meinem ersten Roman (ich kann es noch gar nicht wirklich glauben, es ist so ein unbeschreiblich tolles Gefühl! 🥰). Um Nachfragen vorzubeugen: Es weiß außer mir noch keiner, um was es genau geht 😉. Gut Ding will Weile haben und ich will auch nichts “verschreien”, wie man bei uns in Bayern sagt. Ich bin schon sehr gut vorangekommen, die Worte fließen nur so aus mir heraus. Ich muss tatsächlich gar nicht so viel aktiv machen, meine Charaktere machen das irgendwie ganz von allein... (auch wenn sie manchmal seltsame Dinge tun 😅).

Und ihr wisst ja, wie es ist, wenn man in ein Projekt viel Zeit und Energie investiert, dann fehlt es an anderen Ecken und Enden. Momentan muss ich das Lesen von anderen Geschichten leider ein wenig vernachlässigen, um meine eigene voranzutreiben und damit leider auch den Blog und #Bookstagram. Ich bin zwar nach wie vor bei @vorablesen aktiv und poste auch dementsprechend meine Rezensionen hier, aber es wird in den nächsten Wochen eher ruhiger sein auf diesem Kanal. Ich hoffe, ihr bleibt mir trotzdem gewogen. Wenn ich mit meinem Buch fertig bin (ich will noch gar nicht dran denken 😢), wird bestimmt alles wie zuvor sein. Oder auch nicht?

In diesem Sinne macht es gut, wir sehen und hören uns! Eure Vicky

Samstag, 22. Februar 2025

"Russische Spezialitäten" von Dimitrij Kapitelman



Tragikomische Mutter-Sohn-Geschichte

“In der russischen Welt meiner Mutter ist Russland gut und heldenhaft und hat gar keine andere Wahl, als zu kämpfen. Herzlos ist das nicht von ihr, nur sehr wahrheitsverloren. Deswegen leidet Mama wohl auch so darunter, dass ihr Sohn diese russischen Wahrheiten aufs Verderben nicht erkennen will.” (S. 58)

“Russische Spezialitäten” hat mich deswegen interessierst, weil es darum geht, wie Menschen damit umgehen, wenn ihr Land zum politischen Aggressor wird. Und damit, dass ihre nationale bzw. kulturelle Identität zum Schimpfwort wird und zum Grund, warum sich andere Leute vielleicht nicht mehr so gerne mit ihnen abgeben möchten. Es ist ein autofiktionaler Roman, in dem der ukrainisch-moldawischstämmige Autor und Journalist Dimitrij Kapitelman, der in Kiew geboren wurde und seit seiner Kindheit mit seiner Familie in Leipzig lebt und dort - bis Corona kam - einen Laden für russisch-ukrainische Produkte betrieben hat, die jüngere Vergangenheit verarbeitet. Er tritt als Ich-Erzähler auf und im Mittelpunkt steht die Beziehung zu seiner Mutter. Obwohl die beiden ein inniges Mutter-Sohn-Verhältnis haben, sind sie doch anderer Meinung, was den Krieg zwischen Russland und der Ukraine angeht. Die Mutter ist auf der Seite des Aggressors und der Sohn versucht sie davon zu überzeugen, dass die Ukraine das Opfer ist und sich verteidigen muss. Zunächst ohne Erfolg. Schließlich fährt der Ich-Erzähler mitten im Krieg selbst in sein ukrainisches Geburtsland und muss dort mit anderen Problemen als mit der Sorge der Soldaten-Mütter kämpfen, ihre Söhne könnten bei der Kälte keine Mütze tragen.

Ich muss schon sagen, es hat ein bisschen gedauert, bis ich in dieses Buch “reingekommen" bin, bis ich den Vibe gefühlt habe und bis mir die Worte nahe ans Herz gegangen sind. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Dimitrij Kapitelman ein richtiger Sprachakrobat ist, der mit lautmalerisch-metaphorisch-allegorischen Bällen jongliert. Das war mir oft - gerade am Anfang - ein wenig too much. Eigentlich mag ich gut gewählte Sprachbilder, aber hier war mir unter anderem der lila Fliederstaub, der um die sozialistischen Plattenbauten weht, etwas zuviel des Guten. Wörter wie “umherbefruchten” (S. 14), “Tomatentrauer” (S. 25) oder “Krautinator” (S. 29) sind nur wenige Beispiele für die Anwendung von blumigen Neologismen in diesem Buch.

Letztlich aber hat mich das Buch zum Ende hin überzeugt, wo es dann sehr ernst und tragisch wird. Die komischen Elemente waren zwar nett, aber sie waren mir persönlich zu anekdotisch und der Ich-Erzähler ist mir durch diesen ‘Humor’ kein Stückchen näher gekommen. Am Ende habe ich aber doch eine gewisse Verbindung zu ihm gespürt, was das Buch für mich im Nachhinein lesenswert macht.

Herzlichen Dank an Hanser Berlin und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!

Dienstag, 18. Februar 2025

"Tinte, Staub und Schatten - Das Buch der Verlorenen" von Alina Metz

Es ist lange her, dass ich ein Kinderfantasy-Buch als Lektüre für mich gelesen habe. Weil “Tinte, Staub und Schatten” aber mit Buchmagie und einem bibliophilen Fantasy-Setting wirbt, hat es mich sofort angesprochen. Auch in Hinblick darauf, dass meine fast neunjährige Tochter das Buch dann ab 11 lesen kann (das ist die Altersempfehlung), habe ich mich für die Lektüre entschieden. Im Mittelpunkt steht nämlich auch ein starkes, 16-jähriges Mädchen, namens Minna. Sie macht sich nach ihrem Realschulabschluss allein auf in die Stadt, in der sie geboren worden ist, um den Tod ihrer Mutter vor 11 Jahren aufzuklären.

Man wird eigentlich von Anfang an in eine märchenhafte Buchwelt hineingeworfen - die Welt von Tinte, Staub und Schatten. Eine Welt, in der Bücher tödlich sein können und in der ein unterirdisches Bücher-Labyrinth existiert, in dem man durchaus sowohl sterben als auch verschwinden kann - so wie Minnas Mutter, die “Büchersucherin” war. Denn manche Bücher sind selten und sorgen dafür, dass das Gleichgewicht der Kräfte, das man doch in jeder Welt irgendwie braucht, aufrechterhalten wird. Deswegen gibt es die Büchersucher, die mit ihrer “Staubmagie” für Ordnung im Labyrinth sorgen. Für Staubmagie benötigt man metallische Geräte wie “Hyperbeln” und andere Dinge aus Kupfer, bei denen ich nicht so ganz geschnallt habe, was sie eigentlich genau tun und wie sie funktionieren. Aber Lektüre soll nicht zum pseudowissenschaftlichen Lehrgang verkommen, von daher habe ich das jetzt mal so hin genommen.

Das Spiel mit Intertextualität hat mir natürlich sehr gut gefallen, wobei ich es für die Ziel-Altersgruppe teilweise etwas “hoch” finde. Da werden zum Beispiel Dantes “Göttliche Komödie” zitiert und Cervantes’ “Don Quixote” und Goethes “Götz von Berlichingen”. Die meisten Elfjährigen werden damit wahrscheinlich noch nichts anfangen können, aber einmal ist ja immer das erste Mal, dass man etwas von Klassikern hört.

Aber jetzt zu dem, was einem Buch seinen Charakter verleiht - den Charakteren: Die rothaarige Minna, unsere Hauptfigur, bleibt eigentlich am blassesten von allen, was ein wenig schade ist. Ihr Movens, Büchersucherin zu werden, ist vor allem die Trauer um ihre Mutter und der Versuch, die Geschichte um deren Verschwinden im Labyrinth zu ergründen. Raban Krull, der düstere Antiquar, Büchersucher und Minnas Lehrmeister, ist ganz klar am Vorbild Severus Snape modelliert und wir als Lesende erfahren bis zum Ende dieses ersten Bandes - es ist eine Reihe - nicht, ob seine Motive gut oder böse sind oder sogar beides. Sein tollpatschiger, aber liebenswerter Sohn Gulliver wird als späterer Love Interest für Minna aufgebaut. Ganz toll und erwähnenswert finde ich, dass es in diesem Kinderroman auch queere Charaktere gibt. Der etwas mysteriöse und vom Aussehen her androgyne Jascha, macht bereits am Anfang deutlich, dass er auf Männer steht. Sein späterer Rivale, der Wilde Jäger Parzival - der auch ganz offen bisexuell ist und stöndig mit Jascha flirtet, ist ebenfalls spannend und auch hier könnte ich mir vorstellen, dass der Trope Enemies to Lovers im Laufe der Reihe anhand von diesen beiden Figuren “eingelöst” wird.

Obwohl das Bücher-Labyrinth - wie es sich für ein Labyrinth gehört - ziemlich komplex war und es ein paar Längen gab, fand ich das Buch zum Ende hin aber wieder ganz toll und spannend. Das ist vor allem den überraschenden Plot Twists zu verdanken. Am Ende gibt es einen riesigen Cliffhanger, der dann wahrscheinlich im zweiten Band, der im Herbst 25 erscheinen soll, aufgelöst wird. Hat mich sehr gut unterhalten!

Herzlichen Dank an Überreuter und Vorablesen Junior für das Rezensionsexemplar!

Freitag, 14. Februar 2025

"Coast Road" von Alan Murrin

Großartige irische Literatur

Irische Roman-Literatur: Das sind große Gefühle in Prosaform und die Lektüre dieser Werke fühlt sich oft an, als würde man von einer schroffen, steilen Klippe aufs weite Meer hinaus blicken. Das Meer spielt als Setting auch eine große Rolle in “Coast Road”, dem Debütroman von Alan Murrin, ein irischer Autor, der in Berlin lebt. 

Letztes Jahr habe ich das Buch schon oft bei englischsprachigen Buchbloggenden gesehen, die völlig begeistert von dem Roman waren. Dennoch bin ich froh, dass ich auf die dtv-Ausgabe gewartet habe, die unter dem Schutzumschlag sehr schön mit einer in Öl gemalten Landschaftsszene gestaltet und von Anna-Nina Kroll hervorragend ins Deutsche übersetzt wurde.

Die Handlung von “Coast Road” spielt 1994/1995 im irischen Künstenstädtchen Ardglas im County Donegal. Murrin entführt uns in eine Zeit, in der Irland gesellschaftspolitisch gefühlt noch “hinter dem Mond” lebte. In der man Kondome im englisch regierten Norden kaufen und Abtreibungen im benachbarten Königreich vornehmen lassen musste. Und in einer Zeit, in der man sich nicht scheiden lassen konnte und in der Frauen meist völlig von ihrem Ehemann abhängig waren. Das Referendum zur Abschaffung des Verbots von Ehescheidungen, das nach Ende der erzählten Zeit im Jahr 1996 in Kraft trat, spielt eine entscheidende Rolle im Roman. Eine der Hauptfiguren, James Keaveney, setzt sich als Parlamentsabgeordneter aus Donegal für die Abschaffung des Paragrafen ein. 

Alan Murrins Roman mutet im einen Moment wie ein historischer an und im nächsten sind es doch wieder die allgemeingültigen Themen des Lebens, die hier verhandelt werden und die uns alle zu jeder Zeit betreffen: Liebe und Hass, Leben und Tod. Anhand von drei Paaren werden wir uns im Laufe des Roman überdies drei Fragen gestellt haben: Bei Izzy und James: Wird sie gehen? Bei Donal und Dolores - was bringt das Ehe-Fass zum Überlaufen? Und schließlich bei Colette und Shaun: Kommen sie wieder zusammen?

Am interessantesten von den Charakteren fand ich, neben Colette, die man aufgrund ihrer Differenziertheit einfach spannend finden muss, tatsächlich den Priester, Brian. Er schaut quasi von außen auf die Ehen der Paare und bildet sich seine Meinung. Ganz stark ist die Szene im Beichtstuhl, in der er einer der für die Handlung relevanten Personen die Beichte abnimmt. Seine ganze Persönlichkeit zeigt, dass (katholische) Geistliche auch nur Menschen mit Bedürfnissen und Gefühlen sind. Ich hätte gerne mehr Szenen mit ihm gehabt und seine Rolle noch ein wenig mehr ausgebaut gesehen. Indirekt leidet auch er unter den selbsternannten Alpha-Männern aus Ardglas, die letztlich sogar sein Schicksal bestimmen.

Ich habe in einem Interview mit Alan Murrin gelesen, dass er als Schreibtipp gegeben hat: “Don't deal too much in introspection. Dramatise everything.” Scheinbar hat er sich an seinen eigenen Tipp gehalten, denn dieser wunderbare Roman kommt 100% ohne Längen aus. Die Handlung hält sich nicht mit Unnötigem auf und schreitet einem tragischen Höhepunkt entgegen, in dem alle Hauptfiguren mehr oder weniger involviert sind.

Ein ganz großartig erzählter, feministischer Roman, der von einem Mann geschrieben wurde. Unbedingt lesen!

Herzlichen Dank an dtv und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!






Mittwoch, 12. Februar 2025

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" von Heather Fawcett


“Er schien die schroffe Schönheit nicht genießen zu können, den wilden Schrecken der Berge, die gewaltigen Gletscher, die schmalen Streifen Zeit, die sich in Form von gefrorenen Wasserfällen an die Felswände klammerten. In beiden Nächten tanzte über uns das Polarlicht, Grün und Blau und Weiß wogten ineinander, ein kalter Ozean am Himmel, und selbst diesem Spektakel gönnte Bambleby kaum einen Blick.” (S. 208)

Kennt ihr das, wenn man sich nach einer Lektüre fragt, warum man das Buch nicht schon längst gelesen hat - es hätte einen noch viel früher glücklich machen können? Mir ging es so mit “Emily Wildes Enzyklopädie der Feen” von Heather Fawcett (Fischer Tor, übersetzt von Eva Kemper). Zum Glück ist es eine Trilogie und ich habe noch zwei Bände “Leseglück” vor mir.

Worum geht's? [kleiner Spoiler] Das Buch ist ein historischer Fantasyroman. Die englische “Feenforscherin” oder Dryadologin Emily Wilde aus Cambridge reist ins abgelegene norwegische Dorf Hrafnsvik, um das dortige “Kleine Volk” zu untersuchen. Dort taucht plötzlich ihr Kollege, der unverschämt gutaussehende Prof. Wendell Bambleby auf, von dem sie vermutet, dass er selbst von den Faye abstammt. Damit hat sie recht, Wendell ist ein exilierter Feenkönig, der das Tor in sein Reich sucht. Und dann erleben sie Abenteuer und kommen sich näher und es ist atmosphärisch, wild und romantisch und einfach toll!

Googelt mal Wendell Bambleby Emily Wilde - ihr werdet massenweise FanArt und FanFiction dazu finden. Die beiden sind einfach ein Match Made in Heaven bzw. in Faye. Ich habe die beiden Hauptfiguren geliebt, vor allem Wendell. Endlich mal wieder eine männliche Fantasy-Figur, die tragikomisch und nicht schwarzweiß gezeichnet ist. Dass die Autorin mit einem feinen Humor arbeitet, hat mich einfach angesprochen. Ich will nicht, dass alles immer bitterernst und dramatisch ist. Es war trotzdem noch dramatisch, aber eben nicht nur. 

Heather Fawcett schreibt eine wunderbare Prosa, die Eskapismus und Spannung in sich vereint.Und dann diese winterliche Atmosphäre und dieses CottageCore-Setting. Ich bin entzückt und verliebt und will unbedingt bald den zweiten Band lesen und werde sicher weinen, wenn ich Wendell und Emily ziehen lassen muss. Top Empfehlung für alle, die die gesagten Sachen auch so mögen und schätzen wie ich.



Mittwoch, 5. Februar 2025

"Gentlemen and Players" von Joanne Harris


“‘You can't work at St Oswald's for as long as I have without believing in signs and portents and - ‘Ghosts?’ I suggested slyly. He did not return my smile. ‘Of course’, he said. ‘The bloody place is full of them.’ I wondered for a moment if he was thinking of my father. Or Leon. For a moment, I wondered if I was one myself.” (S. 193)

Kennt ihr diese Bücher, die ein extrem langes Built-up haben und es einem scheinbar endlos vorkommt, bis sie zum Punkt bzw. Sinn und Zweck der Geschichte kommen? Das ist bei “Gentlemen & Players” von Joanne Harris (übrigens die Autorin von “Chocolat”) so. Ich habe mich in das Cover verliebt und auch das Setting “englische Jungen-Eliteschule” hat mich sofort angesprochen. Wenn ich gewusst hätte, dass sich die knapp über 500 Seiten wie Kaugummi ziehen, hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht gelesen.

Es ist eine Geschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird. Zum einen die des 65-jährigen Lateinlehrers Straitley - ja, sprechende Namen gibt es in diesem Buch auch einige - zum anderen die eines namenlosen Ich-Erzählers, dem Kind eines früheren Hausmeisters der Schule namens Snyde. Straitley ist die gute Seele von St. Oswald, er wird demnächst sein Century vollmachen, was ich nicht ganz verstanden habe. Denn Century heißt ja eigentlich Jahrhundert und er ist ja doch wesentlich jünger. Andererseits ist das Buch von 2005/2006 (10 Jahre später gab es diese Neuauflage) und vielleicht meint er einfach das Ende des 20. Jahrhunderts. Eine genaue Jahreszahl bekommen wir im Gegensatz zu Daten (Tag und Monat), aber nicht. Es wird aber gerade alles digitalisiert an der Schule (PC-Räume) und von Smartphones gesprochen. Ich weiß nicht, ob die Autorin das Buch für den zweiten Release nochmal überarbeitet hat. Jedenfalls ist Straitley der Sympathieträger, den Schüler und Lehrer*innen gleichermaßen respektieren. Er ist alleinstehend und quasi mit der Schule “verheiratet” und bringt uns als Lesenden die Insiderinfos. Dann ist da eben diese Ich-Erzählinstanz, die davon berichtet, wie sie als Kind des Hausmeisters in einem Häuschen auf dem Schulgelände mit dem Vater aufgewachsen ist, die Mutter hat beide früh verlassen. Diese Person, die auf die öffentliche Schule gehen musste, ist fasziniert von St. Oswald und legt sich eine zweite Identität als “Pinchback” zu, einem Phantom-Schüler, der in seiner Freizeit und teilweise auch während der regulären Schulzeit, durch die Gänge der Eliteschule streift. Dort trifft Pinchback eines Tages auf den etwas älteren Schüler Leon Mitchell und verliebt sich in ihn. Damit nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Das ist der Kern der Geschichte, allerdings gibt es sehr viel Überbau, der hier auch noch erzählt wird. Es scheint mir, als wollte die Autorin die Atmosphäre haarklein schildern, um bei den Lesenden das Gefühl zu erzeugen, sie würden die Schule in und auswendig kennen. Eine Schule hat allerdings ziemlich viel Personal und ja, jeder Lehrer wird hier “besprochen” und auch eine Menge Schüler, vor allem die aus der Lateinklasse von Mr. Straitley. Der ist natürlich schon sehr sympathisch als Charakter, allerdings war mir die Handlung als Ganzes viel zu langatmig. Der große Twist am Ende war schon überraschend, aber leider auch ein wenig unglaubwürdig. 

Ein Buch, an dem ich gefühlt ewig gelesen habe. Es wundert mich nicht, dass es nicht ins Deutsche übersetzt wurde, zumindest wüsste ich nichts davon. Blieb leider hinter den Erwartungen zurück, obwohl ich das Cover immer noch sehr feiere.


Freitag, 31. Januar 2025

"Bible Bad Ass" von Edith Löhle


“Vielleicht ist es an der Zeit, einen längst fälligen Frühjahrsputz in mir zu machen: verstaubte Glaubenssätze ab-swiffern, veraltete Rollenverhältnisse entsorgen, Werte neu anordnen. Ich will, dass es in mir glänzt.” (S. 109)


Viele junge und mittelalte Menschen kehren der Kirche heutzutage zurecht den Rücken. Was in diesem konservativen Männerverein abgeht, ist leider ganz und gar nicht mehr feierlich. Da können sie noch so viel Wein trinken und Hostien essen. Die Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen zieht sich bis in unsere heutige, man sollte meinen, moderne und aufgeklärte Zeit. Am allerschlimmsten sind aber die furchtbaren Missbrauchsskandale, die vertuscht und verschleiert werden.

Die Protagonistin des Romans “Bible Bad Ass”, Klara, hat ebenfalls mit der konventionellen Kirche gebrochen. Sie ist Journalistin bei einem hippen Frauenmagazin und als sie für ihren Chef - ausgerechnet während ihrer MENstruation - mal wieder eine tolle Story aus dem Hut zaubern soll, stößt sie auf die Geschichte der queeren evangelischen Pfarrerin Annina Ligniez, die ihr eine andere, sehr weibliche Sicht auf Bibel und die Kirche offenbart. Annina Ligniez ist eine reale Person, mit der Edith Löhle für den Roman tatsächlich zusammengearbeitet hat. Als Klara plötzlich in eine Whatsapp-Gruppe gerät, in der biblische Frauen ihre realen Geschichten erzählen, kommt es bei der Journalistin zu einem Umdenken: Können wir nicht zu einer modernen Form des Glaubens finden, indem wir den Fokus auf Schwesternschaft und Liebe lenken, statt auf Männerwirtschaft und Ausgrenzung?

Das positive und das negative Element dieses Romans sind für mich eins: eine Flut an Informationen. Wenn man böse ist, könnte man sagen: Infodump, wenn man nett ist: Aufklärung. Man merkt einfach, dass die Autorin Journalistin und mit dem Finger stets bei Google ist. Für einen Roman mit Ich-Erzählerin fehlt mir die detaillierte Herausarbeitung des inneren Konflikts der Hauptfigur. Klar geht es auch immer wieder darum, dass sie angepisst ist von ihrem frauenfeindlichen, nicht-gendernden Umfeld und um die Probleme mit ihrem Freund Nico. Letzteren liebt sie eigentlich, aber er nimmt sie in ihrer extrem feministischen Haltung nicht immer ernst und das führt zu Problemen. Aber ich habe die Figur Klara dennoch nicht ganz greifen können, sie kam oft rüber wie ein wandelndes Klischee. Eigentlich Katholikin mit schwäbischen Wurzeln, die im hippen Berlin wohnt. Prenzlauer-Berg-Drama ick hör dir trapsen…

[Spoiler ahead] Als Realistin finde ich es nicht gut, dass uns das Buch mit einer metaphysischen Erklärung für den Chat mit den biblischen Frauen abspeist. Woher kam dann das Ganze jetzt? Ist es fake oder real hardcore metaphysisch? Und dass die Protagonistin am Ende als esoterische und singuläre Spinnerin dasteht, hat mir auch nicht gefallen. Eine potenzielle Pseudo-Reformatorin, die alle Beziehungen zu ihrem bisherigen Leben abbricht? Interessant wäre gewesen zu wissen, was sie jetzt daraus macht. Aber an dieser Stelle endet leider das Buch.

Das heißt jetzt allerdings nicht, dass ich aus “Bible Bad Ass” nichts mitgenommen habe. Während das Buch als Roman für mich kaum funktioniert, ist es als Informationsquelle für die jahrhundertelange Frauenfeindlichkeit der Institution Kirche Gold wert. Ich habe sehr viel gelernt über weibliche Geschichte und die Ungerechtigkeiten, die Männer den biblischen Frauen - angetan haben, indem sie deren Geschichte und Bedeutung z.B. für Jesus fehlinterpretiert oder klein gehalten haben. Ob es sie nun gab oder nicht, ist dabei irrelevant.

Eigentlich ein sehr tolles, informatives und wichtiges Buch. Als erzählendes Sachbuch hätte es mir aber noch besser gefallen. 




Sonntag, 26. Januar 2025

"Der Klavierschüler" von Lea Singer


“...man muss nicht Thomas Mann sein. In jedem Menschen lebt vermutlich der Wunsch, erkannt zu werden. Erkannt als das, was er ist oder war.” (S. 126)

“Der Klavierschüler” von Lea Singer hat meines Erachtens ein klares Zielpublikum: Intellektuelle. Wer sich so gar nicht mit der Welt der europäischen Künstler*innen der 1930er Jahre auskennt, der hat hier schlechte Karten, überhaupt einen Einstieg zu finden. Klar, es geht eigentlich um eine Liebesgeschichte und die sollte ja für jede/n zugänglich sein, oder? Aber die Liebe zwischen dem Protagonisten, dem Schweizer Musiker Nico Kaufmann (1916-1986) und dem russischen Star-Pianisten Vladimir Horowitz (1903-1989) wird schon auf sehr verkopfte Weise präsentiert. Klar, das Buch ist hervorragend recherchiert und komponiert, aber selbst für die, denen Namen wie Antonio Borgese und Nathan Milstein etwas sagen, ist es eher geistige Arbeit als Lesevergnügen. 

"Der Klavierschüler” ist mehr fiktionalisierte Zeitgeschichte und literarische Autobiografie als ein klassisches Stück Literatur. Die Autorin hat sich am realen Leben von Nico Kaufmann orientiert. Als Basis ihrer Erzählung hat sie die Briefe von Horowitz an seinen Schüler Nico Kaufmann aus den Jahren 1937-1939 und dessen unveröffentlichte Romanfragmente quasi als Erste gesichtet und ausgewertet. Sie bilden das Grundgerüst der Handlung. Einzig durch den “Fremden” (Donati), den Singer als fiktionale Figur (glaube ich) einführt und der wegen der von Kaufmann gespielten Musik noch am Leben ist und jetzt seine Geschichte hört, verleiht sie der erzählten Biografie eine literarische Komponente.

Die Handlung ist spröde und an sich schon nicht so leicht zugänglich. Das liegt meines Erachtens an der verschachtelten Erzählsituation und auch an den fehlenden Anführungszeichen bei der direkten Rede. Man muss sich vieles erschließen: Wer spricht und welche Zeitebene wird besprochen. Die Rahmenhandlung spielt 1986 in Zürich, wo Nico Hoffmann auf den suizidgefährdeten Donati trifft. Am Anfang wird dieser Donati von der Schweizer Gesellschaft für Sterbehilfe gesucht, um ihn seinen finalen Drink, für den er unterschrieben hat, zu verabreichen. Donati entkommt aber, weil er Musik (Schumanns “Träumerei”) hören möchte. In einem Luxushotel trifft er auf Kaufmann, der ihm das Stück spielt und anschließend seine Lebensgeschichte erzählt. Dafür machen sie einen kleinen Roadtrip durch Zürich und drum herum. Bis auf ganz zu Beginn fehlt der Spannungsbogen und ich tat mich etwas schwer, an der Geschichte dranzubleiben.

Wenn ich an den Roman denke, kommen mir Nomen in den Sinn, die sich leitmotivisch durch dieses Buch ziehen: Musik, Klang, Sünde, Tod, Unsterblichkeit. Außerdem die Missachtung und Verfolgung, der Homosexuelle im 20. Jahrhundert ausgesetzt waren. Eine traurige Zeit und es bleibt uns allen zu hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Momentan sieht die Zukunft nicht so rosig aus und wir sollten wo es geht, die Fahne der Menschlichkeit und Toleranz hoch halten.

Ein sehr gutes, aber schwer zugängliches Buch mit einem schweren geistigen Überbau, in dem wir zwar eine Liebesgeschichte, aber nur wenig direkte erzählte Interaktion zwischen den Liebenden haben. Ich kann “Der Klavierschüler” allen empfehlen, die sich für queere Geschichte und Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts interessieren.

Montag, 20. Januar 2025

"Mord im Filmstudio" von Beate Maly


Psychothriller in Cosy-Crime-Verpackung

CHVC - Cosy Historical Vienna Crime - you are my guilty pleasure! Obwohl ich nur noch wenige Buchreihen verfolge, so hat die historische Krimi-Reihe um das in Mordfällen im Wien der 1920er unfreiwillig ermittelnde ältere Pärchen (sie sind “zusammen”, aber nicht verheiratet) Anton und Ernestine vor Jahren einen Nerv bei mir getroffen. Mittlerweile ist schon der neunte Band erschienen, unglaublich wie schnell Beate Maly schreibt, vor allem bei der Vielzahl ihrer Buchprojekte. Die Frau ist ein Phänomen. Jedenfalls lag Band 8 fast ein Jahr auf dem SUB und ich frage mich beschämt wie ich es schaffen konnte, “Mord im Filmstudio” so lange auf selbigem zu lassen. 

Wer jetzt glaubt: Na geh, Cosy Crime ist eh nicht meins, den kann ich beruhigen: Wenn das “cosy” ist, was Maly sich hier ausgedacht hat, dann ist der Papst evangelisch. Nein, was hier an Trigger-Themen und Hardcore-Crime-Stuff ausgegraben wurde, ist alles andere als das Material eines “Blümchenkrimis”. Man muss hier als lesende Person wirklich ein dickes Fell haben: heftigstes Mobbing unter Kindern und Erwachsenen, sadistische Gewalt unter Kindern, Gaslighting, Suizid von Kindern (!) und Erwachsenen, schwere Körperverletzung/Kindesmisshandlung, Verlust von Angehörigen durch psychische Gewalt, Alkoholismus, Krieg und Krankheit, unterlassene Hilfeleistung, Misogynie, Homophobie, Antisemitismus, rassistische Gewaltverbrechen und natürlich Mord und Totschlag. Content Notes wären hier echt eine gute Sache.

“Achtung, eine Durchsage: Der kleine Psychothriller möchte aus der Cosy-Krimi-Reihe abgeholt werden…” Also ich wollte doch nach meiner letzten intensiven Lektüre eigentlich ein wenig abschalten und mir kein Panoptikum menschlichen Leids reinziehen. Immerhin wird in diesem Buch kein Tier gequält, wobei, die Cocker Spaniel-Dame Minna wird ganz allein zu Hause im Garten gelassen und verkriecht sich “beleidigt” unter einem Busch. Und die Menagerie, also der Zoo in Schloss Schönbrunn, kommt ja auch als Erinnerung einmal vor, mit den Tieren in den viel zu kleinen Käfigen…OCHVC - Cosy Historical Vienna Crime - you are my guilty pleasure! Obwohl ich nur noch wenige Buchreihen verfolge, so hat die historische Krimi-Reihe um das in Mordfällen im Wien der 1920er unfreiwillig ermittelnde ältere Pärchen (sie sind “zusammen”, aber nicht verheiratet) Anton und Ernestine vor Jahren einen Nerv bei mir getroffen. Mittlerweile ist schon der neunte Band erschienen, unglaublich wie schnell Beate Maly schreibt, vor allem bei der Vielzahl ihrer Buchprojekte. Die Frau ist ein Phänomen. Jedenfalls lag Band 8 fast ein Jahr auf dem SUB und ich frage mich beschämt wie ich es schaffen konnte, “Mord im Filmstudio” so lange auf selbigem zu lassen. 

Wer jetzt glaubt: Na geh, Cosy Crime ist eh nicht meins, den kann ich beruhigen: Wenn das “cosy” ist, was Maly sich hier ausgedacht hat, dann ist der Papst evangelisch. Nein, was hier an Trigger-Themen und Hardcore-Crime-Stuff ausgegraben wurde, ist alles andere als das Material eines “Blümchenkrimis”. Man muss hier als lesende Person wirklich ein dickes Fell haben: heftigstes Mobbing unter Kindern und Erwachsenen, sadistische Gewalt unter Kindern, Gaslighting, Suizid von Kindern (!) und Erwachsenen, schwere Körperverletzung/Kindesmisshandlung, Verlust von Angehörigen durch psychische Gewalt, Alkoholismus, Krieg und Krankheit, unterlassene Hilfeleistung, Misogynie, Homophobie, Antisemitismus, rassistische Gewaltverbrechen und natürlich Mord und Totschlag. Content Notes wären hier echt eine gute Sache.

“Achtung, eine Durchsage: Der kleine Psychothriller möchte aus der Cosy-Krimi-Reihe abgeholt werden…” Also ich wollte doch nach meiner letzten intensiven Lektüre eigentlich ein wenig abschalten und mir kein Panoptikum menschlichen Leids reinziehen. Immerhin wird in diesem Buch kein Tier gequält, wobei, die Cocker Spaniel-Dame Minna wird ganz allein zu Hause im Garten gelassen und verkriecht sich “beleidigt” unter einem Busch. Und die Menagerie, also der Zoo in Schloss Schönbrunn, kommt ja auch als Erinnerung einmal vor, mit den Tieren in den viel zu kleinen Käfigen…O.k., vergesst was ich gesagt habe und fügt psychisches Leid von Tieren dem Horrorkabinett hinzu.

Wo ist jetzt eigentlich mein sympathisches Ermittler*innen-Duo Ernestine und Anton? Genau wie es der Titel vermuten lässt - sie sind auf einem Filmset. Ernestine hat es natürlich mal wieder eingefädelt: Statist*innen für die Stummfilm-Aufzeichnung des “Rosenkavaliers” wurden gesucht (Libretto: Hugo von Hofmannsthal!) und Ernestine hat sich und Anton prompt angemeldet und sie wurden genommen. Anton hat wie immer keinen Bock und möchte lieber den heißen Sommer und seinen Ruhestand auf dem Liegestuhl genießen. Immerhin stimmen ihn die köstlichen Topfengolatschen in der Filmkantine milde. Glück gehabt, Ernestine. Aber die hat diesmal auch die engen Korsagen schnell satt und die unangenehme Attitüde der Filmleute. Doch es gibt ein Ereignis, das sie von all dem schnell ablenkt und ihren Ermittlerinneninstinkt weckt: Die schöne Hauptdarstellerin des Films, Louise Toupie, wurde in ihrer Garderobe ermordet. Und es gibt einen Haufen Verdächtige, die die Diva loswerden wollen. Anton isst erstmal eine zweite Topfengolatsche und Ernestine und Antons Schwiegersohn Erich ermitteln…

Beate Maly schlägt in diesem Buch sehr ernste Töne an. Klar kennen wir das von den anderen Bänden der Reihe, aber hier ist die Vorgeschichte des Verbrechens besonders perfide. Und die Nebenhandlung mit Erich, der von seinem Kollegen antisemitisch beleidigt wird. Der aufkommende Nationalsozialismus ist ein Thema. Da wird einem schon anders, wenn man sich die Jahreszahl anschaut: 1925. Schluck. Ihr wisst sicher, was ich meine.

Anton ist wie immer das komische Element, aber mit seiner grenzenlosen Naivität in Bezug auf die noch geheime Schwangerschaft seiner Tochter Heide übertreibt er es diesmal etwas…Er ist Apotheker und denkt nicht mal an die Möglichkeit, dass sie schwanger sein könnte, obwohl sie sich übergibt, dauernd müde ist und frisch verheiratet ist…

Beate Maly ist und bleibt meine österreichische Histo-Queen, die hervorragend plotten und lebensechte Charaktere aus dem Hut zaubern kann. In diesem Buch hat sie es etwas übertrieben, mit allem irgendwie. Das heißt nicht, dass es nicht sehr kurzweilig, unterhaltsam und lesenswert ist - und erst recht nicht, wenn man ein Fan der Reihe ist.