Zunächst: „Adieu, Sir Merivel“ ist eine Fortsetzung. Die
Geschichte des Arztes und Höflings Sir Robert Merivel beginnt bereits im Buch „Zeit der
Sinnlichkeit“ (engl. „Restoration“). In dem gegenwärtigen Buch ist vor allem
die Rückschau auf sein Leben ein Thema (er schreibt seine Memoiren) und so
erfährt der Leser gefiltert einiges, was wohl bereits im ersten Band
thematisiert wurde.
Dieser historische Bekenntnisroman (wir haben einen Ich-Erzähler,
dem wir quasi über die Schulter schauen können und der sein Leben vor uns
ausbreitet) hat das Vermögen die Zeit in der er spielt auf besondere Weise
lebendig werden zu lassen. Diese Zeit ist der englische (und französische)
Barock: die Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. und von Charles II., jenem König,
der nach dem englischen Bürgerkrieg („Interregnum“) und der Exekution seines
Vaters Charles I. ab 1660 regieren durfte.
Den Roman durchweht das memento-mori-Gefühl jener barocken Epoche,
die sich des Lebens so gefreut hat und dennoch immer mit dem Sterben
konfrontiert wurde. Auch Merivel erlebt und erinnert sich an den Tod von
Weggefährten, Patienten und Familienmitgliedern. Der Tod ist in der Mitte des
Lebens angekommen und lauert stets auf der Schwelle – manchmal stellt er sich
aber glücklicherweise „nur“ als Monarch heraus. Humor ist immer auch dort, wo
Merivel ist: dem Tod die Zähne zeigen könnte sein Motto lauten. Das macht ihn
so liebenswert und sympathisch, diesen weisen Tunichtgut Merivel, der das Leben
so schätzt und verehrt wie manche königliche Mätresse und doch immer um seine
Endlichkeit weiß.
So ist es auch die Leidenschaft, die den Endfünfziger in
Gestalt der schönen (und auch schon nicht mehr ganz in der Blüte ihrer Jugend
stehenden) Louise de Flamanville trifft wie zu seinen besten Zeiten. Ich finde
diese Affäre der beiden anrührend wie das
letzte Aufflammen der Liebe und Klammern an das Leben eben meistens ist.
Philosophische Gedanken durchziehen das Buch – solche über
das Leben an sich und auch darüber, wie wir mit der Kreatur umgehen. Das
Falkenmotiv ist hier der Bär, den Merivel in Versailles vor dem sicheren Tod
rettet und nach England überschiffen lässt. Doch schafft er es ihn artgerecht
zu halten und seiner tierischen Würde gerecht zu werden? Haben Tiere eine Seele
und können wir nonverbal mit ihnen kommunizieren? Wie sehr soll der Mensch in
die Natur eingreifen und was ist überhaupt Moral? Muss der König moralisch sein
und ist sie nur dann angebracht wenn man von ihr profitiert?
Also ich muss sagen dass dies eben kein üblicher
historischer Roman ist, wie ihn die Mehrheit vielleicht gerne hat sprich:
mysteriöse Tode und der spannende Aufstieg und/oder Fall einfacher Menschen
(meist Frauen). Dies ist eben kein Allerweltshistorienreißer, es geht hier um
ein spezielles Milieu, nämlich das Adlige zur Zeit des endenden englischen und
französischen Barock. Das Lebensgefühl einer ganzen Generation neigt sich dem
Ende zu, ähnlich wie am Ende des 19. Jahrhunderts herrscht ennui und zurück
bleiben vernachlässigte, gelangweilte Mätressen, an denen der stille Zahn der
Zeit nagt und eben Merivel, der auf seinem englischen Landsitz nicht nur den
Verfall seines langjährigen Dieners miterleben muss. Deshalb bricht er noch
einmal auf, um seinem Geist und Körper neue Energie zu verschaffen. Dass dies
manchmal derbe wird ist zeittypisch und wenn man die Klassiker von Laurence
Sterne kennt auch nicht weiter verwunderlich.
Rose Tremain hat ein
nachdenkliches Buch geschrieben über einen Mann, der auf sein Leben
zurückblickt und es dennoch noch einmal wissen möchte. Ich finde das gut und
habe es gern gelesen, auch wenn es eben nicht randvoll gepackt mit Spannung
ist.
Herzlichen Dank an vorablesen und den Insel Verlag für das Rezensionsexemplar!
Meine
Ausgabe:
Originaltitel:
Merivel. A Man of his Time
Erstausgabe: 2012
Verlag: Insel Verlag
Erscheinungsjahr: 2013
ISBN: 978-3458175636
Sehr gute Rezension :)
AntwortenLöschenHat ja diesmal gut geklappt mit den Zeilenabständen^^
Das Cover des Buches gefällt mir extrem gut (und dein gewählter Hintergrund passt auch wieder super dazu), frag mich wieso sie mit sowas nicht öfters experimentieren auf den Umschlägen.
LG Misty
Vielen lieben Dank Misty!
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